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Der Glanzrappe

Der Glanzrappe

Titel: Der Glanzrappe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unknown
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Schuhe«, sagte sie, und wieder standen ihr die Tränen in den Augen.
    »Wie bitte?«
    »Du wirst sie noch brauchen.«
    Sie bedeckten den kleinen Trommler mit der Erde aus dem nächsten Grab, das sie aushoben, und als der Hügel fertig war, nahm er die zerbrochenen Trommelstöcke und steckte sie in die Erde.
    »Das reicht für heute«, sagte sie.
    Dann ging er mit ihr zu einem Haus ganz in der Nähe, dessen Mauern voller Einschußlöcher waren. Sie schöpfte einen Krug Milch aus einem Faß und ließ ihn trinken, bis ihm der Bauch schmerzte, dann füllte sie seine Feldflasche mit frischem Wasser und gab ihm einen Laib Brot. Sie entschuldigte sich in einem fort bei ihm, aber er verstand nicht, warum. Er sah nichts, woran sie Schuld gehabt hätte, nichts, was sie hätte falsch machen können. Im Brustton der Überzeugung erklärte sie ihm, die Menschen sollten zweimal geboren werden: einmal so wie sie sind und einmal so wie sie nicht sind. Das verstand er zwar auch nicht, aber so, wie sie es sagte, mußte es wohl stimmen.
    »Da glaubt einer was, das falsch ist«, sagte sie, »und bringt andere dazu, das auch zu glauben. Und zum Schluß glauben alle an den gleichen Fehler.«
    Er fragte sie, welchen Fehler sie meine, und da wurde ihre Stimme eiskalt. Sie sagte, er solle seine Wahl treffen, wenn er es denn wolle, und dann wurde ihre Stimme wieder wärmer, voll Mitgefühl.
    »Sei vorsichtig«, sagte sie und legte ihm die Hand auf die Schulter.
    »Ja, Madam«, sagte er, erleichtert, daß sie sich wieder gefangen hatte.
    »Bringst du deinen Vater nach Hause?«
    »Ich hab es meiner Mutter versprochen.«
    »Ein gebrochenes Versprechen ist schlimmer als ein gebrochener Knochen.«
    »Ja, Madam.«
    Als er aufbrach, sah es wieder nach Regen aus, und ein Wetterleuchten zuckte über die Gesichter der noch nicht beerdigten Toten am Friedhofstor. Er eilte zurück zu seinem Vater und deckte ihn mit den Gummiplanen zu, die er sich unterwegs beschafft hatte. Als ein sanfter Nieselregen einsetzte, schlief der Vater noch immer friedlich und wachte erst auf, als Robey ihm die Plane links und rechts unter den Körper schob. Der Glanzrappe lockerte einen verkrampften Muskel und wieherte. Robey hatte einen Futtersack voller Hafer mitgebracht und kippte den Inhalt auf den Boden.
    »Hallo Robey «, sagte der Vater, froh, daß er wieder da war, »ich muß sagen, ich fühl mich heute ein bißchen schwach.«
    Der Vater lächelte ihm zu und hob den Kopf ein wenig an, um aus der Feldflasche zu trinken. Robey hielt die Flasche schräg und ließ ihm das Wasser in den Mund laufen. Dann bettete er seinen Kopf sanft auf die Jacke, die ihm die Mutter genäht hatte.
    »Die Kirche ist voll mit Verwundeten«, erzählte er, »und davor steht ein Karren, auf den sie die Arme und Beine werfen. Sie sagen, es gibt kein Chloroform und keine scharfen Sägen mehr für so viele Verletzte. Fast zwanzigtausend.«
    »Ja, das war was«, sagte der Vater und dachte offensichtlich an die letzte Schlacht. »So was hast du im Leben noch nicht gesehen. Manche Jungs mußten sich dreimal betrinken, um es durchzustehen.«
    »Da liegen reihenweise Tote«, sagte Robey und versuchte noch immer zu verstehen, was er gesehen hatte.
    »Wenn sie vorrücken, haben sie Angst und wollen jemanden neben sich haben«, sagte der Vater. »Sie wollen den Rock des nächsten spüren, aber sie müssen sich verteilen.«
    »Sie müssen sich verteilen«, wiederholte Robey für sich.
    »Es war furchtbar«, sagte der Vater. »Wie wenn ganze Brigaden in einer Rauchwolke verschwinden.«
    »Ich hab einen neuen Verband.«
    »Ja. Der muß gewechselt werden. Laß uns heute nacht noch hier ausruhen, und dann gehen wir morgen mit einem frischen Verband nach Hause.«
    Robey betastete das verkrustete Leintuch am Kopf des Vaters. Es war schwarz und hart.
    »Wo war heute die Sonne?« fragte der Vater. »Ist sie gar nicht durch die Wolken durchgekommen?«
    »Sie hat den ganzen Tag geschienen« sagte er, und es war in der Tat ein heißer Tag gewesen.
    »Hier aber nicht«, sagte der Vater, und Robey konnte nur vermuten, daß es an dem Rappen lag, der dem Lauf der Sonne von Ost nach West gefolgt war und den Vater so mit seinem Schatten abgeschirmt hatte.
    Er bettete den Kopf des Vaters in seinen Schoß, nahm das Taschenmesser und löste den alten Verband, so vorsichtig er konnte. Der Hengst hörte auf zu kauen, als die Binde in kleinen Fetzen abging wie eine alte Baumrinde, und Robey wußte nicht, ob das, was er in

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