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Der gleiche Weg an jedem Tag

Der gleiche Weg an jedem Tag

Titel: Der gleiche Weg an jedem Tag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriela Adamesteanu
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Nach ein paar Zügen war ich dem Ersticken nahe, der schale Geschmack im Mund steigerte sich zum Brechreiz. Ich stand auf und warf die Zigarette in den Blechnapf, der auf einem hohen Stahlträger schwankte. Durch die Schwingtür betraten immer wieder alte Bekannte die Eingangshalle, einige sahen mich nicht und gingen vorbei, andere winkten mir mit unverbindlicher Freundlichkeit zu. Ich setzte mich wieder hin und stützte den Kopf in die Hände; eigentlich wusste ich nichts Genaues darüber, weshalb Vater verhaftet, weshalb Onkel Ion ausgeschlossen worden war … Mir fielen die merkwürdigen Fragen des Herrn Emil ein, Mutters Vorwürfe, das unschlüssige Schweigen des Onkels … Verärgert dachte ich an sie zurück, warum hatten sie mir nie irgendetwas erzählt? Wahrscheinlich hatten sie sich vor mir in Acht genommen …
    Es ist besser, man sagt von sich aus alles, ehe sie meinen, man habe versucht, sie zu täuschen, so hatte mir Onkel Ion damals bei der Aufnahme geraten, als wir gemeinsam das Eintrittsformular für die Fakultät ausfüllten. In den letzten Jahren sind viele, die etwas weggelassen haben, denunziert und von der Fakultät ausgeschlossen worden, hatte er mir erklärt. Sollte mir am Ende dasselbe passieren? Mein Atem ging schwer vor Angst, die Luft war wie verfilzt, hatte ich vielleicht etwas verschwiegen? Was hätte ich noch angeben müssen? Etwas über Vater vielleicht, mutmaßte ich und ballte die Faust um den Daumen, aber was hatte er getan? Ich drückte den verbogenen Daumen ganz fest, denn aus allem, was sie gesagt hatten, war mir klar geworden, dass vor allem seine Brüder Politik gemacht hatten. Sobald von Politikmachen die Rede war, wurde in meinen Augen alles kategorisch und negativ, nur zu gut hatte ich noch ganze Sätze aus dem Geschichtsbuch von Roller im Gedächtnis, das ich nach bestandener Aufnahmeprüfung ins Feuer geworfen hatte, in den Ofen in der alten Wohnung. Die Monströse Koalition, die bürgerlich-gutsherrlichen Parteien, die das Land in den Krieg … die königliche Kamarilla … die National-Bäuerlichen, Liberalen, Konservativen … Gewöhnlich geriet ich ins Staunen, wenn ich mir überlegte, dass diese meine Verwandten, eigentlich unbedeutende Menschen, wo doch ihr Name nirgends verzeichnet war, Eingang in mein Geschichtsbuch gefunden hatten. Auch wenn einige von ihnen noch lebten, blieben sie für mich, die ich sie nur von Fotos kannte, auf immer und ewig dort in jenem unbegreiflichen Leben vor einem Vierteljahrhundert oder noch früher, mit Kutschen, weiten Hosen, Frauen mit Hüten und Handschuhen mitten im Sommer, mit ihren privaten Geschäften und politischen Parteien. Ich betrachtete sie gewissermaßen von oben, mit verächtlichem Mitleid, weil sie nichts von dem gewusst hatten, was folgen würde. Ich hatte wirklich keinerlei Beziehung zu ihnen (das konnte ich dem in der Kaderabteilung ruhig sagen), sie interessierten mich nicht, und ich verstand sie nicht, wie ich auch nicht verstand, dass es Mutter und Onkel Ion, die zur gleichen Zeit lebten wie ich, auch damals schon gegeben hatte.
    Ich sah auf die Uhr in der Eingangshalle, es waren erst zehn Minuten verstrichen. Ich redete mir zu, ich musste aufstehen und gehen, ehe die Allmächtigen in der Kaderabteilung noch böser wurden. Mich selbst wiederum bettelte ich an, das Ganze noch ein wenig hinauszuzögern, weil ich mir im Kopf noch nicht alles zurechtgelegt hatte. Zumindest jene verworrene Geschichte um Onkel Ion, die kannte ich, die hatte Mutter mir erzählt. Hätte es aber nicht sein können, dass ich sie nicht kannte? Er war ja nur mein Onkel, sagte ich mir in Gedanken, außerdem ist er gestorben. Die Toten zählen nicht. Stimmt, wir haben zusammen in einem Haus gelebt, würde ich dem in der Kaderabteilung sagen, aber nur, weil wir nirgends sonst wohnen konnten, Mutter war damals von Vater weggegangen, weil sie nicht zurechtkam mit seiner Familie-die-Politik-machte … Ja, das ist es, sagte ich mir erleichtert und erfreut, als wäre die zu lösende Gleichung plötzlich aufgegangen. Die Furcht ließ für ein paar Augenblicke nach, vielleicht war sie auch nur wie ein schwelender Schmerz, an den man sich gewöhnt. Ja, so könnte man es sagen. Sogar Onkel Ion, selbst er würde, wenn er hier wäre, mir raten, das zu sagen, versuchte ich mich rasch zu

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