Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der gleiche Weg an jedem Tag

Der gleiche Weg an jedem Tag

Titel: Der gleiche Weg an jedem Tag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriela Adamesteanu
Vom Netzwerk:
überzeugen.
    Wie konnte dieses Ding denn nur so befremdlich heißen – Kaderabteilung, wie ich es immer schon gehört hatte? Wie konnte es nur so heißen? Eine Tür, die sich vor meinen ängstlichen Schritten auftut, und jenseits davon ein kleiner Mann mit langen grauen Haarsträhnen, über die glänzende Glatze gekämmt, auf der einiges Geschirr zerschlagen worden ist. Was kann dir einer, der dir übel will, nicht alles antun, hatte der Pârvulescu gesagt, er zeigt-dich-bei-der-Kaderabteilung-an, er denunziert-dich-bei-der-Securitate.
    Er wandte sich mir zu, die Kaffeekanne in der Hand, betrachtete mich fragend über den Rand der Brille, in der ich mein Gesicht erblickte, ohne Augen und mit durch die dicken Gläser ungeheuerlich in die Breite gezogener Nase. Dann goss er weiter den Topf mit den zwischen behaarten Blättern knospenden Usambaraveilchen.
    Â»Einen Moment, ich bin gleich fertig«, sagte er und schüttete mit einem Schwall das ganze Wasser darüber.
    *
    Â»Und sonst ist nichts passiert, seit du diese Angaben gemacht hast?«, fragte er und stützte die Ellbogen auf den Tisch.
    Unter dem stachligen Schnurrbart sah man zwei weit auseinanderstehende tabakgelbe Zähne. Er fixierte mich mit stechendem Blick, kniff die Lippen über der Zigarette zusammen und tastete auf dem Tisch nach dem Feuerzeug. Ich lächelte ihn an, obwohl meine Mundwinkel bebten und ich fühlte, wie meine im Schoß verkrampften Hände zitterten. Meine Finger rieben sich aneinander wie an fremden Gegenständen, ich wusste nicht mehr, was zu mir gehörte und woran ich mich festhalten sollte, um Mut zu schöpfen.
    Â»Wo ist es bloß?«, brummte er und sah sich auf der Glasplatte des Schreibtisches um. Vor ihm lag nur mein Formular zur Aufnahme in die Fakultät, auf dem ich meine Schrift erkannte.
    Â»Hier ist es ja.« Triumphierend zog er das Feuerzeug unter einer Ecke des Blattes hervor. »Deinen Vater hast du bis vor einem Monat nicht gesehen? Du weißt nicht genau, wann er entlassen worden ist?«
    Â»Wie ich Ihnen schon sagte, Mutter hat sich von ihm getrennt, bevor er verhaftet wurde. Weil sie nicht zurechtkam mit seiner Familie-die-Politik-machte … Sie wissen, was ich meine, oder? Und deshalb ist Vater auch nicht gleich zu uns gekommen … Sie verstehen … Er hat bis vor einem Monat nichts von sich hören lassen.«
    Â»Was hast du mir sonst noch mitzuteilen?«, fing er von vorn an, und so wiederholte auch ich stockend alles, was ich zu Anfang gesagt hatte.
    Â»Nur was ich schon sagte, Mutters Bruder, der mit uns im Haus gewohnt hat, ist gestorben …« Als ich das sagte, versuchte ich verhaltene Trauer zu mimen, wenngleich ich in diesem Angstzustand nichts von meiner wirklichen Trauer wiederfand. Mir war, als hätte ich alles, was ich über mich sagte, in jenen Minuten, die ich in der Eingangshalle verharrt hatte, erfunden. Ich war hier die Einzige, die anders als alle anderen zweifellos eine Schuld verhehlte, die ich nicht kannte, mit der ich aber aufgewachsen war, die ich erkannt hatte in der ängstlichen Nachgiebigkeit von Onkel Ion, in seinen Worten, in seinem schleppenden Gang an der Wand entlang. Und plötzlich gab ich mir Rechenschaft, dass es überhaupt keinen Sinn hatte, etwas zu verheimlichen, ich erstarrte vor Schreck und meine Wangen glühten. Hatte ich nicht immer schon gehört, dass sie alles wussten, viel besser als man selbst? Außerdem war es auch gar nicht schwer, alles viel besser zu wissen als ich.
    Er schwieg immer noch und drückte die weiter qualmende Kippe im Aschenbecher aus. Ein schwarzer, harter Zigarettenkern, den er in den Aschenbecher drückte, bis es knackte. Die Tabakfäden quollen aus dem dünnen Papier, und der weißliche Rauch stieg weiter in weichen Schwaden auf.
    Â»Und jetzt ist mein Vater zu uns zurückgekehrt … Er wohnt wieder mit Mutter zusammen«, sagte ich und versuchte, meine Worte möglichst sachlich klingen zu lassen.
    Â»Und der Vater – der ist nicht verurteilt worden, hast du geschrieben?«, fragte er und wischte mit einem zerknüllten Papierfetzen den Tintentropfen ab, der sich auf seinem Finger ausbreitete.
    Â»Nein – er ist nur aus ermittlungstechnischen Gründen einige Jahre festgehalten worden«, antwortete ich, zufrieden, weil die Formel mir noch geläufig war. Und ich begann sogleich schneller

Weitere Kostenlose Bücher