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Der gleiche Weg an jedem Tag

Der gleiche Weg an jedem Tag

Titel: Der gleiche Weg an jedem Tag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriela Adamesteanu
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Mauer, und aus dem schweren Hörer der Klang wie Wasserrauschen, der mir Angst machte.
    Â»Wenn eine Frau dran ist, fragen Sie nach Marius, wenn es ein Mann ist, nach Gabi …«
    Ich versuchte meine Unruhe in den Griff zu kriegen, als ich hörte, wie es in einem leeren Zimmer läutete, und sagte mir – ohne Überzeugung –, es gehe ja nicht um mich. »Wenn es eine Frau ist, fragen Sie nach Marius, wenn nicht, dann nach Gabi.« Ich hörte, wie er es wiederholte, ohne dass ich etwas begriff, seine Brille ließ das schmale Gesicht alterslos erscheinen, kein Muskel rührte sich darin, nur seine Füße in weichen Sommersandalen trippelten unhörbar und unregelmäßig auf der Stelle.
    Â»Ist auf dem Land …« Die Stimme einer Mutter, verdrießlich bis zur Feindseligkeit.
    Â»Und Gabi?«
    Â»Welche Gabi?«
    Â»Seine Freundin«, raunte er mir von hinten ins Ohr und drehte das Feuerzeug zwischen den Fingern.
    Â»Kenn ich nicht«, sagte die Mutter und legte ärgerlich auf.
    Was fing er bloß an mit diesen leeren Worten? »Ich habe viele Mädchen gebeten, aber sie wollten nicht, die dachten …« Er ging mit schleppenden Schritten allein zu der Haltestelle zurück, wo ich ihn getroffen hatte.
    Als ich dann aber wie jedes Mal im Dunkel des Zimmers gegen einen Stuhl stieß, den man in der Nähe der Tür hatte stehen lassen, und eine verschlafene Stimme heiser brummte: »Verdammt!«, riss ich mir mit fliegenden Händen die vor Erschöpfung feuchten Kleider vom Leib, geborgen in der weichen und betäubenden Finsternis, in der sich nur das Fensterviereck abzeichnete, durch das man eine weiß schimmernde Wolke sah und das flache Rauschen der Straßenreinigung heraufklang. Am liebsten hätte ich mich fallen lassen, aber ich kroch ins Bett, wobei sich meine Muskeln bei jedem Knarren anspannten, vergrub meine Wange im Kissen; da war der mir längst vertraute Geschmack seiner Nähe, und auf der gesamten Länge des Bettes lag der Umriss seines Körpers, den ich in Gedanken bei mir trug. Mit heißen Händen tastete ich nach dem enttäuschend raschelnden Laken und schließlich dem kalten eisernen Bettgestänge, um mich daran festzuklammern.

Kapitel XX
    J eden Sonntag gingen wir nun zu dritt zum Friedhof. Wir gingen durch das Stadtzentrum, das wieder aufgebaut wurde, zwischen Gerüsten und vierstöckigen Blocks im Rohbau mit kalkbespritzten Fenstern hindurch, und immer weiter durch die Straßen der Vorstadt. Die Grundstücke fielen vom Gehsteig steil ab, so dass die Fenster der Wohnzimmer, erblindet hinter der mit Reißnägeln befestigten Leinwand, uns höchstens bis zur Schulter reichten. Die Häuser waren fast alle neu und nach demselben Muster gebaut, am Giebel stand das Baujahr und manchmal der Name des Eigentümers. Hinter den frisch gestrichenen Zäunen bellten heiser zottelige Hunde und zerrten an dem Wäschedraht oder dem kümmerlichen Pflaumenbaum, an die sie gekettet waren. Unter dem farblosen Himmel des Frühsommers roch es nach Rauch, trockener Erde und gerade erst ausgeschöpften Plumpsklos. Backsteine wiesen den Weg zum Eingang, wo vor einem Flickenteppich die Schuhe in Reih und Glied standen für den Fall, dass an Regentagen der ganze Hof im Morast versank. Durch die offenen Türen der Sommerküchen drang aus den bis zum Anschlag aufgedrehten Lautsprechern die Sendung für das Dorf. Auf den Bänken vor den Hoftoren, aus ungehobelten Brettern auf in die Erde gerammten Pfählen gezimmert, hielten schwatzende Frauen in glänzenden Kittelschürzen mit großflächigem lila Blumenmuster inne und verfolgten mit ihren Blicken jeden unserer Schritte. Manchmal saß da auch ein alter Mann mit backsteinbraunem verrunzeltem Gesicht, schütterem Bart und wässrigen Augen, der sich mit beiden Händen unbequem auf einen Stock stützte.
    Wir schwiegen beide, Mutter und ich. Ihre Schultern hingen herab wie üblicherweise bei hochgewachsenen Frauen, der Bauch rundete sich unter dem Gürtel. Seit Monaten trug sie keine Schuhe mit hohen Absätzen mehr, Vater war gerade so groß wie sie. Trotzdem erschien er mir, sooft ich die beiden sah, kleiner, wie schon vor ein paar Monaten, als ich sie nebeneinander gesehen hatte. Das war vielleicht auch der Grund, weshalb sie sich von Anfang an nicht verstanden hatten und sich wohl auch nie wirklich verstehen

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