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Der gleiche Weg an jedem Tag

Der gleiche Weg an jedem Tag

Titel: Der gleiche Weg an jedem Tag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriela Adamesteanu
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nichts, heute ist schon Dienstag, und lehnte mich verdrossen an die Wand. Bis zur halben Höhe war sie in einem schwärzlichen Grün gestrichen, darüber standen, in den weißen Kalk mit einem Nagel eingekratzt oder mit einem stumpfen Bleistift geschrieben, die heißen oder einfach nur obszönen Wünsche Unbekannter. In der Dunkelheit dachte ich nicht mehr daran und passte nur auf, nicht auf dem feuchten, miefenden Betonfußboden auszurutschen.
    Ich konnte nichts tun, ich musste ganz einfach Geduld haben und den Tag abwarten, an dem ich von hier weg konnte, und dabei nicht daran denken, wie sehr ich ihn herbeisehnte. Immer wieder sagte ich es mir an den langen Vormittagen, wenn ich Mais schälte, immer wieder sagte ich es mir schon morgens mit größter Bestimmtheit, wobei ich die weichen, von Blütenstaub starrenden Lieschen Büschel für Büschel herunterriss, während in meinem Inneren jemand unablässig redete wie ein Tonbandgerät, das in einem leeren Zimmer vergessen worden ist. Und plötzlich merkte ich, dass ich längst nicht mehr glaubte, was ich mir ständig wiederholte, ach, meine ganze Geduld war umsonst, nie würde ich diesen dumpfen Schmerz loswerden, der irgendwo unterhalb des Halses bohrte. Mein Gott, wieso konnte ich es kaum erwarten, nach Hause zu kommen, kannte ich doch unser Zimmer mit den konfus schwirrenden Flüstertönen, das Knarren jeder Tür in meinem Rücken und den Weg zur Schule, wo ich Mutter traf, die mit den prallen Einkaufsnetzen vom Markt kam, und die Männer mittleren Alters, die vor den Zeitungskiosks die Sportgazette lasen, und der Korso mit den Gruppen frisch geschorener Gymnasialschüler in blauen Uniformen, die Hand- und Fußknöchel freigaben … Ich setzte mich zwischen die Maishaufen ins spärliche Gras, dem Ersticken nahe, die Tränen glänzten in meinen Augen, lösten sich aber nicht, sondern rannen zurück in die Nasenlöcher und in den Rachen. Um mich herum nahm ich Schreie und Wortfetzen wahr, die Erde klebte an meiner feuchten Haut, ich saß einfach da, der Kopf leerte sich, und plötzlich spürte ich die Ameisen an meinem ganzen Körper.
    Am letzten Sonntag vor der Abfahrt fuhren wir mit LKW s ans Meer. Ich sah es zum ersten Mal, und als ich ins Wasser ging, vergaß ich alles. Rhythmisch grün rollte der Himmel gegen mich an und füllte meinen Mund mit Salzgeschmack, mir war, als wäre ich zurückgekehrt zu etwas lang Vertrautem und als zählten die vergangenen Jahre nicht mehr. Das Licht pulsierte im Einklang mit dem Wasser. Hin und wieder rollte eine Welle über meinen Kopf hinweg, dann packte mich in dem durchscheinenden flüssigen Dunkel die Angst, eine endlose Sekunde lang ruderte ich in den Blasen des Strudels aufwärts, dann watete ich weiter, die vernebelten Schiffe, die das Meer bewachten, fest im Blick.
    Später schlief ich unter der weißen Mittagssonne ein. Die rote Leinwand mit kreisenden Flecken vor den geschlossenen Augen und das von Schreien durchsetzte Gewimmel der nackten Leiber … Als ich erwachte, hatte ich Kopfschmerzen und das Licht nahm ab, wurde mild und traurig wie an den Morgen im Herbst. Reihenweise übten Jungs am Wasser den Wechselschritt, mit ihren unterschiedlichen Körpern und Gesichtern, mal kindlich, mal von Flaum und Pickeln entstellt. Der Himmelsrand zog sich zurück, das Ufer weitete sich, bis die Luft sich verschattete und das Meer milchig glänzte und mit seinem nunmehr vertrauten Schwappen meine Füße benetzte. Ich marschierte am Ende der Reihe, die Badeschlappen in der Hand, die Küste entlang, die steinig gekrümmt auf das blinkende Licht des Leuchtturms von Mangalia zulief.
    *
    Als ich zurückkehrte, war der Herbst gekommen und es wurde früher Abend. Ich versuchte den klebrig zähen Schleier des Schlafes zu zerreißen, als ich Mutters Stimme hörte. Ich richtete mich auf und sah im Spiegel die Abdrücke der Knöpfe und Falten des Kissens in meinem geschwollenen Gesicht, betrachtete das sinnentleerte Zimmer, die staubbedeckten Möbel und sah, wie die Nachbarin im Garten nebenan mit der großen Schere die fleischigen Dahlien abschnitt. Was habe ich bloß geträumt, dachte ich verzweifelt, was habe ich geträumt, ich erinnerte mich nicht, es tat mir nur leid, dass ich aufgewacht war. Immer tat es mir leid, dass ich aufgewacht war, und weil ich es ahnte, wollte ich mich

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