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Der gleiche Weg an jedem Tag

Der gleiche Weg an jedem Tag

Titel: Der gleiche Weg an jedem Tag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriela Adamesteanu
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wahrgenommen, obwohl ich ihm damals so nahe gewesen war? Steckte hinter seinen Gesten wirklich nichts als die resignierte Ergebenheit, an die ich immer denken musste? … Vielleicht meinte er ja, ich hätte sein Erfolg sein sollen. Und schwieg deshalb, grau im Gesicht vor verhaltenem Ärger, wenn ich vor dem Spiegel hockte, während Mutter, die Böses ahnte und deshalb seinem Blick auswich, über die abgetretene Schwelle der Sommerküche kam. Zu Jeni, die auf der Veranda auf mich wartete, sagte sie: »Seht zu, dass ihr euch nicht wieder verspätet …« Dabei betrachtete sie abschätzig Jenis nahtlose Nylonstrümpfe, wie sie damals aufkamen, und den neuen geblümten Seidenschal, der siebzig Lei gekostet hatte …
    Â»Schneller, sonst läuft euch der Korso noch davon«, brummte Onkel Ion über die Schulter, wenn er mit schlurfenden Pantoffeln die Treppen hinab zum Tisch im Hof ging, einen Stoß Exzerpte in der einen und den dampfenden Kaffeepott in der anderen Hand.
    Unter dem verkrüppelten Birnbaum mit den wächsernen Blättern verweilte er dann in der Stille, die sich nach dem Krachen des ins Schloss fallenden Tores ausbreitete. Dort an dem auf seinen ungleichen Beinen wackelnden Tisch trank er seinen Kaffee bis zur Neige und sog an der Zigarette, den Blick starr auf den rostigen Maschendraht des Geflügelhofs und die krummen Pflaumenbäume gerichtet, die im Abendlicht einer nach dem anderen bläulich zu schimmern begannen. Wenn dann aus dem Haus die Stimme des Nachbarn drang, der sich mit seiner Frau stritt, ging er zu Mutter in die Küche, und gemeinsam säuberten sie den Spinat und die Brennnesseln. Die Sorgen und Nöte der letzten Jahre hatten dazu geführt, dass die beiden versöhnlich an den Anfang ihres Lebens und an das unbekannte Leben ihrer Eltern zurückdachten. Meistens aber widmete Onkel Ion sich in diesen Stunden hingebungsvoll seinen eng und sauber beschriebenen Seiten, die mit jedem Tag, der unmerklich verstrich, zusehends vergilbten. Drei Aufsätze hatte er daraus gemacht, die in den Sitzungen des örtlichen Kulturkreises gelobt worden waren, und er hatte eingewilligt, dass auch der neue Direktor seinen Namen daruntersetzte, der mit seinen Beziehungen zu der Bukarester Fachzeitschrift protzte, wo er sie veröffentlichen würde.
    Ich suchte die Aufsätze in den ersten Monaten meines Studiums hoffnungsvoll mehrere Abende lang bis spät in der Fakultätsbibliothek, aber natürlich fand ich sie in keiner der Zeitschriften.
    So saß Onkel Ion denn weiterhin an dem Tisch im Hof und ordnete seine Notizen, sorgfältig und unsicher. Dann und wann fügte er noch etwas hinzu, was er gerade gelesen hatte, dabei zündete er, ohne es zu merken, eine Zigarette an der anderen an und wippte unablässig mit dem Fuß.
    In seltenen Augenblicken aber, möglicherweise an irgendeinem jener Nachmittage, an denen er aufs Arbeiten verzichtete, wir zu dritt die Stadt hinter uns ließen und auf das morastige, unter den Schritten schmatzende Stoppelfeld hinausgingen, wenn er an einem seichten Teich stehen blieb, wo auf samten schlammigem Grund schwarze Kaulquappen wuselten, und die aufkommende Frühlingsluft witterte, muss er gespürt haben, wie seine Jahre dahindämmerten. Denn er verharrte dann auf der Stelle und bohrte die Schuhspitze in das feuchte Loch, in dem der gerade weggerollte Stein gelegen hatte und aus dem die Ameisen in orientierungslosen dünnen Reihen kopflos in alle Richtungen ausschwärmten. Vielleicht versuchte er dann in Gedanken, sich von den Seiten, die er mit ängstlich übertriebener Sorgfalt immer wieder umschrieb, zu lösen, wie man von dem rostfleckigen Spiegel in der Küche zurücktritt, wenn man sich, peinlich berührt, darin wiedererkannt hat.
    *
    Â»Wie kannst du dem auch deine Arbeit von Jahren geben«, fragte ihn Mutter, wobei sie ärgerlich den Kopf herumwarf und ihn ansah. »Wieso lässt du ihn die Artikel mit unterzeichnen, die du erarbeitet hast?«
    Wir kamen gerade vom Sonntagsspaziergang nach Hause. Den verstörenden Gefängnisbau hatten wir hinter uns gelassen. An der endlosen Friedhofsmauer flimmerte das noch warme Sonnenlicht, die Marmorkreuze und die spitzen Dächer der Familiengrüfte und die Alleen, in denen die Tauben turtelten, waren verschattet. Am großen, weit offenen Tor zeichneten sich in der feuchten Erde tiefe Radspuren ab, am

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