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Der gleiche Weg an jedem Tag

Der gleiche Weg an jedem Tag

Titel: Der gleiche Weg an jedem Tag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriela Adamesteanu
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Zaun häufte sich trockenes Reisig vom Vorjahr und welkes Unkraut von den zum Frühjahr frisch bepflanzten Gräbern. Ich betrat den Friedhof nur einmal im Jahr, wenn wir im Klassenverband Blumen am Denkmal der Sowjetsoldaten niederlegten. Unsere Toten waren nicht hier, deshalb blickte ich gleichgültig über die weiße Mauer. Auch Tante Ştefi hatten sie in ein etwa 40 Kilometer entferntes Dorf gebracht, wo die Ihren alle lagen und wo noch eine Schwester von ihr wohnte.
    Â»Was soll ich allein denn damit anfangen?«, fragte Onkel Ion müde und bückte sich schwerfällig, um einen Schnürsenkel zuzubinden. Sein krampfhaft gebeugter Kopf lief blau an vor Anstrengung. »Du weißt doch, jetzt werden die Jungen gefördert, was brauche ich denn noch, der ich kurz vor der Rente stehe?«
    Â»Das ist ja wohl ein Witz«, fuhr ich dazwischen und blieb ebenfalls stehen. Von hier oben gesehen, erstrahlte die Stadt weiß, als hätte der Regen sie reingewaschen. Der grüne Fleck da unten war der Crâng, der Stadtwald, in einer Ecke machte ich den grell gestrichenen Turm unserer Kirche aus, mittendrin das Postamt und das neue Theater und weiter hinten, noch eingerüstet, die neuen Wohnblocks der Stadt. »Halt die Vorträge doch selbst, hast denn nicht du gesagt, dieser Mirescu taugt höchstens für Sitzungsreden?«
    Er hatte sich wieder aufgerichtet und sah mit einem unschlüssigen Lächeln in den Mundwinkeln um sich. Im Licht erschien das Weiß seiner Augäpfel gelblich, seine großen, mit ergrauten Büscheln behaarten Hände hatte er auf dem Rücken verschränkt.
    Â»Wenn man jemandem etwas Gutes tun kann«, setzte er an, mir zu antworten, dann wandte er sich Mutter zu, und seine erdfarbenen Züge strafften sich, die gewohnten Falten wurden zu tiefen Furchen. »Weißt du, was es heißt«, sagte er, »weißt du, was es heißt, das alles im Kopf zu haben und es nur mit sich selbst herumzutragen?«
    *
    Dass die Vermieter zu Hause waren, erkannte ich an Onkel Ions Schritten, die unvermittelt in ein Schleichen übergingen, als zögen ihn die schweren Kleider zur Erde hinab. Nur die familientypisch breiten Kiefer verkrampften sich, er biss die schadhaften, vom Tabak und von der Zeit angegilbten Zähne zusammen. »Guten Tag«, grüßte er den Vermieter und zog die Tür achtsam und geräuschlos hinter sich zu. Mit dem neutralen Tonfall und der bemühten Korrektheit, mit der er die Laute aneinanderreihte, versuchte er nicht nur die Furcht zu überspielen, dahinter steckte auch Empörung und Verdruss über die erzwungene Hausgemeinschaft.
    Â»Nimm jeden, wie er ist, erwarte nicht dauernd, dass die anderen tun, was du möchtest«, hatte er zu Mutter gesagt, während er die korrigierten Klassenarbeiten eine nach der anderen in der Aktentasche verstaute. »Und wenn du merkst, dass sie auf Streit aus sind, geh ihnen lieber aus dem Weg.«
    Â»Aber was tu ich denen denn, ich putze hinter ihnen her, sogar das Klo … Siehst du denn nicht, dass der Kerl mich wegen allem und jedem anbrüllt? Unser Geflügel hätte ihn morgens geweckt, ich hätte die Stromrechnung nicht bezahlt, und es wären nur noch drei Tage, bis die kommen … Und wenn er nichts mehr hat, was er mir vorwerfen kann, fragt er, wieso wir nicht endlich weg sind, ob wir denn darauf warten würden, dass er mit einem Papier vom Rathaus kommt und uns rausschmeißt …«
    Während sie das sagte, hatte Mutter die Schranktür geöffnet und wühlte in den darin gestapelten Sachen. Sie suchte etwas, wusste aber nicht mehr, was. Plötzlich machte sie auf dem Absatz kehrt, sah ihn mit funkelnden Augen an und sagte mit merkwürdiger, beinahe triumphierender Stimme: »Du wirst schon sehen, der motzt dich auch noch an! Ich wundere mich schon, dass es so lange dauert, aber du weißt, einmal im Monat kriegt er seinen Rappel …«
    *
    Â»Guten Tag«, gab der junge Vermieter den Gruß zurück, während er mit abschätzigen Blicken die Flickenteppiche im Eingang musterte, die Mutter immer mit der Bürste auf dem Waschbrett im Hof sauber schrubbte. Er schlenderte zu seiner eigenen Tür und legte die Hand auf die Klinke, ohne sie hinunterzudrücken. Eine Weile stand er reglos da und brummte dann, ohne sich umzusehen: »Wir waren doch wohl anders verblieben …«
    Jetzt erst wandte er

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