Der gleiche Weg an jedem Tag
zurückwälzen, noch bevor ich die Augen aufschlug. Ich klammerte mich an eine letzte fadenscheinige Traumvorstellung und versuchte an ihr entlang wieder in den Schlaf zu finden, doch je krampfhafter ich daran festhielt, desto schneller gelangte ich an die Oberfläche. Es blieb mir nichts als ein lächerlich verquerer Gedanke, und ich musste mich, ob ich es wollte oder nicht, langsam anziehen, taumelnd und mit einem schalen Geschmack auf der Zunge.
*
»Jeni ist da.«
Ich öffnete die Tür zur Veranda und bat sie herein.
»CrÄiÅ£a feiert am Samstag ihren Geburtstag ⦠Sie hat mir gesagt, ich sollte auch dir rechtzeitig Bescheid sagen â¦Â«
»Kommt Mihai auch?«, fragte ich, sobald Mutter die Küche verlassen hatte.
Als Jeni nickte, fiel mir wieder der Staub in den Nasenlöchern ein und die endlose, im Sonnenlicht gleiÃende StraÃe, die wie Spielzeug darüber hingleitenden vielfarbigen Autos, die dürren Disteln am StraÃenrand, wo eine alte Bäuerin, deren schwarze FuÃsohlen unter den faltigen Röcken hervorsahen, reglos neben einem Haufen Melonen saÃ. Es war eine Unruhe, fast schon ein Schmerz.
»Nein, lass es gut sein, es hat keinen Sinn â ich habe dir doch gesagt, es ist mir egal.«
Vielleicht war es ja auch wirklich so, nur der Gedanke, in dem nichts mehr mitschwang, kehrte reflexartig immer wieder. Woran sollte ich auch denken, während ich mit dem heiÃen Eisen die feuchtklamme Wäsche bügelte? Der Geruch von Sauberkeit und Seife mischte sich mit dem Dampf des Bügeleisens, und ich bekam Kopfschmerzen, mir wurde zunehmend übel. Es gab nur Geräusche, das Klirren der Teller und Gabeln, die für das Abendessen aufgedeckt wurden, das Rascheln der Papiere, in denen Onkel Ion blätterte, und das Knarren des FuÃbodens unter seinem wippenden FuÃ, das verhaltene Krächzen des leise gedrehten Radios, Voice of America , und die Zeitansage. Der Gedanke an Mihai kam trübe auf wie eine lästige Gewohnheit, dann lief ich, von geheimer Angst getrieben, zum Spiegel und betrachtete mich einige Augenblicke mit aller Bösartigkeit, die ich aufbringen konnte. Wie viel älter war ich geworden? Wer würde mich denn noch »ansehen«?
»Kommt ihr essen?«, rief Mutter und ging wieder in die Küche.
Ich spürte, dass ich die anderen überhaupt nicht mehr sehen wollte, und sagte mir, dass es von nun an immer so sein würde, das Weinen wand sich in meiner Kehle wie ein fremdartiges Tier, ich klaute ein paar Zigaretten aus dem Nachtschränkchen des Onkels und ging hinaus. Irgendwo lehnte ich mich an eine Mauer, die noch warm war, hörte den Zug, der gerade durch die nahe liegende Station fuhr, und die Rabauken des Viertels schossen auf Fahrrädern an mir vorbei. Ich weinte, endlich weinte ich und lieà die Tränen im Gehen auf meine Bluse und auf den Asphalt tropfen. Ein Paar kam vorüber, sie sprachen leise miteinander, um nicht das auf den Schultern eingenickte Kind zu wecken, ich wäre gern stehen geblieben, wusste aber nicht wo.
»Psst, psst«, zischte ein schwarzer Schatten, der sich hinter einem Baum versteckt hielt.
Ich erschrak, rannte los, und der Widerhall meines Laufschritts erschreckte mich umso mehr.
Die Angst lieà mich erschöpft an der Ecke zum Boulevard innehalten, ich suchte nach meinem Leid und konnte es kaum finden, und der Junge, der mich um Feuer bat, versuchte mich unbeholfen mit tröstenden Worten anzubaggern. Ich schwieg, denn jetzt war die Erinnerung erträglich, sogar angenehm, ich wollte mir die Augen trocknen und die Nase putzen, aber ich hatte das Taschentuch zu Hause vergessen. SchlieÃlich gab er auf, und ich ging allein weiter. Ich warf den Kopf in den Nacken, die Linde am Tor reckte ihre blätterschwere Krone zum Himmel, und ich fühlte mich immer besser, so allein. Im Fenster unseres Schlafzimmers war noch Licht.
Am Ende arbeitet Onkel Ion immer noch, sagte ich mir, öffnete die Küchentür und begann nach etwas Essbarem zu stöbern.
Kapitel VIII
W ie konnte Onkel Ion bloà immer weiterarbeiten, ohne sich darum zu scheren, dass nichts dabei herauskam, und ohne darunter zu leiden? Das fragte ich mich später, als ich ihn zu verstehen meinte, wobei ich mir sein Leid seltsamerweise gar nicht mehr vergegenwärtigen und zu eigen machen konnte, soviel ich auch in meinen Erinnerungen wühlte. Hatte ich ihn so wenig
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