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Der gleiche Weg an jedem Tag

Der gleiche Weg an jedem Tag

Titel: Der gleiche Weg an jedem Tag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriela Adamesteanu
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Versicherung von der Gewerkschaft und weil man beschlossen hat, dass die Institution einen Teil der Beerdigungskosten trägt …«
    So hässlich sterben Menschen, dachte ich, und nur diese Neugier, bei der mir schauderte, ließ mich weiterhin in das fahle Gesicht der Sekretärin starren. So hässlich und so schwer, stundenlang bäumt sich jedes Körperteil gegen den Tod auf. Blau angelaufen von den Stößen, schwillt der Kopf um die allzu langen buschigen Brauen, Schaum tritt vor den verzerrten Mund, der vergeblich nach Luft schnappt, die zerwühlten Kleider stinken nach neuem Urin und nach Schnaps … Sie wird nicht mehr anklopfen abends, sagte ich mir, wollte es aber in den nächsten Tagen nicht begreifen oder nur nicht wahrhaben.
    Â»Sie wird gestern Abend mehr getrunken haben als gewöhnlich«, sagte Onkel Ion, »und das war’s dann …« Sein Blick verfinsterte sich. »Irgendwie ist es aber besser so, als wenn sie gelähmt geblieben wäre, wer hätte sie denn pflegen sollen …«
    Mutter sah ihn mit böse funkelnden Augen an, und ihr Schluchzen hallte, nachdem sie damit aufgehört hatte, in der Stille umso vernehmlicher nach.
    Â»Wenn es darum ginge«, sagte sie, »wenn es darum ginge, wäre es für viele besser, wenn sie ein schnelles Ende hätten, statt anderen zur Last zu fallen, denen sie egal sind … Gehen wir …« Das sagte sie zur Sekretärin, während sie ihren Mantel vom Haken riss.
    Â»So kannst du doch nicht gehen«, rief Onkel Ion. »In diesem Zustand … Beruhige dich doch erst mal …«
    Aber Mutter war schon über die Schwelle getreten, und die Sekretärin versuchte sie mit trippelnden Schritten einzuholen.

Zweiter Teil

Kapitel X
    D as gleißende Morgenlicht fuhr mir mit dem Lärm fremder Stimmen auf dem Flur in die Träume. Mir schien, ich hätte sie schon lange gehört, als ich mir erbittert die stachlig raue Decke über den Kopf zog, unter der das Leintuch weggerutscht war. Doch die Sonne schien weiterhin unerbittlich darauf, in dem warmen bläulichen Dunkel konnte ich kaum atmen und war dem Ersticken nahe. Die Geräusche kamen immer näher, Poltern, Rascheln und von Lachen durchsetzte Wörter. Ich warf die Decke von mir, reckte meinen steifen Körper und betrachtete, als sähe ich es zum ersten Mal, das kahle Zimmer mit nichts als den Wandschränken, die mit krummen Ziffern nummeriert waren. Die mit großen braunen, gelb geblümten Laken überzogenen Betten waren aufgereiht wie in einem Krankenhaus, auf dem Tisch stand eine leere Karaffe mit drei trüben Gläsern, um sie herum zwischen Brotkrümeln lagen Haarnadeln und Spangen. Die Luft roch nach Neuem und nach Vorläufigem, aber die Mädchen schienen das nicht zu merken. Sie bewegten sich gewohnt lässig, ließen Schubladen und Türen knallen, kamen und gingen mit Handtüchern über der Schulter und Seifenschalen aus buntem Plastik in der Hand, aus denen Wasser aufs Linoleum tropfte.
    Â»Es ist zu hell«, beschwerte sich eine neben mir, am Abend zuvor hatte ich gehört, dass sie Clara hieß.
    Sie streckte den Arm aus, legte ihre Brille auf das Nachtschränkchen und rieb sich mit den Handknöcheln die Augen. Sie war wahrscheinlich seit langem wach, denn sie hatte schon in einem schäbigen, dicht beschriebenen Heft gelesen. Die orangegelbe Decke mit weißem Besatz hatte sie übers Bett geworfen, lag auf dem Bauch und schlenkerte mit den Beinen, die nackt bis zu den von bläulichen Äderchen durchzogenen Kniekehlen aus dem Pepita-Morgenmantel hervorsahen.
    Â»Wir haben gestern Abend die Jalousien vergessen, lass du sie doch runter«, sagte sie zu mir und sah mich von der Seite an, wobei sie ihren Kopf schief in die Handfläche stützte.
    Ihr sommersprossiges Gesicht hatte einen anderen Ausdruck angenommen, wie bei allen Kurzsichtigen, wenn sie ihre Brille absetzen: Plötzlich waren ihre Augen ganz klein und blickten irgendwie verwundert. Zögerlich stand ich auf, ich war es nicht gewohnt, mich den vielen Blicken auszusetzen, so im bodenlangen Nachthemd, das mir Mutter vor der Abreise aus Flanell geschneidert hatte. Während ich zum Fenster stolperte, brachen zwei Mädchen in der Tür ihr Gespräch ab, um mich zu beobachten. Nur Marta wühlte in der Hocke im Schrank, ich bemerkte ihre auf dicken Papierwickeln eingedrehten

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