Der gleiche Weg an jedem Tag
Haare und die nackten Schultern, die aus dem durchsichtigen Nylon-Unterrock hervorsahen. Was Jalousien sind, wusste ich nicht. Doch in dem Schweigen, das sich gesenkt hatte, packte ich das breite Band am Rand des Fensters und zog daran, wie ich meinte, dass Clara es am Vorabend getan hatte. Eine unsichtbare Sperre knackte, und ich sprang erschrocken zur Seite: Die Jalousien rauschten mit hölzernem Knattern herunter, ich zog meine Hand zurück, als hätte ich mich verbrannt.
»Jetzt schau dir die bloà an â¦Â« Das Gekicher kam von der Tür. »Behutsam ziehen, meine Liebe, langsam, hast du so etwas denn noch nie gesehen?«
Ich war erstarrt. Mit geballter Faust zerrte ich an meinem Nachthemd. Ich wartete, dass das Gelächter in meinem Rücken abflaute, und mahlte mit den Kiefern, breit wie die von Onkel Ion, wobei ich mich über den Schatten freute, der sich senkte und, so hoffte ich, meine schamroten Wangen verdunkelte.
»Nun ja, das Mädel wird so etwas ja wirklich noch nie gesehen haben, vielleicht hat sie eben keine Jalousien zu Hause â¦Â«
Langsam ging ich zurück, als hätte ich nichts gehört. Diese Verteidigung hätte Clara sich sparen können. Ich machte mein Bett, spannte das zerknüllte Laken, bauschte das Kissen auf und wagte es nicht, zu ihnen aufzusehen. Ihr Landpomeranzen, schimpfte ich in Gedanken, ihr Landpomeranzen, wie BiÅ£Ä es so oft zu Mutter und mir gesagt hatte. Ihr Landpomeranzen, ihr werdet schon sehen, ihr habt keine Ahnung, drohte ich insgeheim und richtete meine funkelnden Blicke plötzlich auf sie, aber keine sah mehr zu mir herüber. Die beiden in der Tür tuschelten, die Handtücher in der Hand, Clara las ohne Brille, das Heft ganz dicht vor den Augen, und Marta hockte immer noch vor dem Schrank und wühlte darin herum.
*
»Ich habe die Kleine zu uns geholt«, hatte Marta am Vorabend gesagt, und ich hatte, die Hand noch an der Türklinke, das siegreiche Gefühl gehabt, Zutritt zu erhalten auch in ihre Blicke, die auf mich gerichtet waren.
Ich als Einzige trat etwas Neues an, ich allein betrat, ohne auch nur eine Geste zu wiederholen, die endlose Dauer des Augenblicks, zu dem sie nicht mehr zurückfinden konnten.
»Guten Abend«, hauchte ich, aber keine antwortete mir. Vielleicht hatten sie mich nicht gehört.
Auch am Abend zuvor hatte Clara gelesen, bäuchlings auf dem Bett ausgestreckt, die Waden in ständiger Scherenbewegung. Mit angestrengt verkniffenem Mund hatte ein Mädchen mit kurzgestutzten Locken am Tisch vor einem kleinen Spiegel, der an einem leeren Wasserglas lehnte, seine hochgezogenen Brauen gezupft. Die beiden, die vorhin an der Tür lehnten, hatten sich, zu zweit auf einem Bett, irgendetwas erzählt, wobei sie immer wieder auflachten und die eng beieinander liegenden Köpfe zur Seite warfen.
»Die kommt aus derselben Stadt wie ich, wir waren auf derselben Schule«, hörte ich Marta, und dann eine andere, gedämpfte Stimme: »War ja klar, dass die uns noch jemanden reinsetzen würden, ich hab euch gleich gesagt, wir sollten das Bett auf den Gang schieben â¦Â«
Zu spät wandte ich mich um und konnte nicht mehr feststellen, wer das gesagt hatte. Da stand ich nun mit offenem Mantel, trat von einem Bein aufs andere und wusste nicht, wo ich meinen Koffer abstellen sollte.
»Sieh mal zu, vielleicht tritt dir eine etwas von ihrem Spind ab, wir haben halt nur sechs«, sagte Clara und machte weiter Unterstreichungen in ihrem Heft, in dem man die schillernden, mit Kopierstift geschriebenen Buchstaben kaum erkennen konnte.
»Hast du vor der Aufnahmeprüfung nicht im Heim gewohnt?«
»Nein, bei einem Onkel, aber das ging nicht mehr«, flüsterte ich.
Jetzt sehnte ich mich zurück nach dem Ganzen, nach der Junggesellenwohnung von BiÅ£Ä, dem Klappbett, auf dem ich geschlafen hatte, den Morgenstunden, wenn er â immer nach mir â aufgestanden und pfeifend in die Kochnische gegangen war, um mir vor jeder Prüfung Kaffee zu kochen. Und nach diesem ganzen Sommer, ein endloser Tunnel, durch den ich mich vortastete in die fremde Stadt, deren Leben unter dem Fenster im vierten Stock und dabei so fern und geheimnisvoll rauschte.
»Du wirst dich schon eingewöhnen«, sagte das Mädchen am Tisch und beugte sich mit gerunzelter Stirn über den kleinen Spiegel, um einen Pickel am Kinn auszudrücken. »Du wirst
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