Der gleiche Weg an jedem Tag
nun zusammengelebt und scheinen doch nichts voneinander angenommen zu haben, eher im Gegenteil. Dabei kommen sie wohl beide gleich schlecht zurecht und geben sich noch nicht einmal Rechenschaft darüber â¦
*
Als ich Mutter fragte, wandte sie sich verstört und misstrauisch zu mir um und sah mich an, als wollte sie mein Alter schätzen. Als Erstes öffnete sie die Küchentür und sah hinaus auf den leeren Gang, um sicherzugehen, dass unsere Mitbewohner noch nicht zurück waren und auch der Onkel nicht in der Nähe war.
»Da war was in seiner Akte«, antwortete sie leise. Ihre Stimme war tonlos. Sie stellte die Waschschüssel auf einen Stuhl, weichte den Lappen ein und begann den Gasherd zu reinigen. Sie beugte sich so weit hinunter, dass ich ihr Gesicht nicht sehen konnte.
»Was hätte ich dir denn früher schon sagen können? Weià man, was ein Kind von diesen Dingen versteht und was es weiterplappert? ⦠Allerdings wundere ich mich, dass du nichts gehört hast im Haus vor ein paar Jahren, als die Sabina Minciu bei uns war ⦠Sie war damals extra in die Stadt gekommen, um Ion zu besuchen, sie war hier im Lyzeum Lehrerin gewesen, nach einem Studium der Literatur und der Philosophie. Eine gescheite Frau, sie hatte sogar ein Stipendium in Paris gehabt, allerdings auch ein wenig mit den Kommunisten kokettiert ⦠Das waren vielleicht Diskussionen damals ⦠Beim Machtantritt haben die faschistischen Legionäre deinem Onkel, der damals Direktor war, Druck gemacht, er sollte sie feuern ⦠Er als deren Mitläufer hat die Haftung für sie übernommen. Also haben sie die Frau in Ruhe gelassen, und so sind die beiden Freunde geblieben ⦠Und das alles hat er ihnen zur Zeit der Ãberprüfungen zweiundfünfzig in einer Parteisitzung von sich aus erzählt. Er und Åtefania waren nämlich, als sie sahen, worauf die Dinge hinausliefen, den Sozialdemokraten beigetreten. Und neunundvierzig beim Zusammenschluss fanden sie sich plötzlich bei den Kommunisten wieder.«
Ich schlug die Augen nieder und glättete meinen Rock über den Knien; sie hat vielleicht abgewartet, dass ich noch wachse, dachte ich, begriff aber nicht, wieso der Onkel nichts erzählt hatte, niemals. Vielleicht hatte er es einfach hinausgeschoben, Jahr um Jahr, sich beunruhigt in mir wiedererkannt und sich gefürchtet vor den Verdächtigungen, die jetzt in mir aufkamen.
Hatte er genauso gedacht, fragte ich mich, damals, als die Hände um ihn herum hochgingen und er einstimmig ausgeschlossen wurde? Solange er sich das selbst einredete, konnte ich nichts tun, ab wann aber hatte gerade diese einstimmige Geste ihm, dem auf Jahre hinaus Bestraften, nach und nach Zweifel und Schuldgefühle eingeträufelt? Geradezu peinlich war er darauf aus, den flüchtigen Gruà der Freunde von früher abzupassen, während die darauf achteten, ja nicht mit ihm zusammen gesehen zu werden, ihren Blick ängstlich auf den Boden hefteten und vorsichtshalber die StraÃenseite wechselten, um ihm nicht zu begegnen. Vielleicht hätte ich es an ihrer Stelle genauso gemacht, muss er gedacht haben, wo er doch selbst einen Kompromiss eingegangen war. Dennoch glaube ich manchmal, er hat sich etwas vorgemacht, als könnte er sich irgendwo verstecken und widerstehen im Schutz des einzigen Lächelns, das ihm noch geblieben war, dem der passiven Gutmütigkeit.
»Eigentlich hat er sich das alles selbst zuzuschreiben, er hätte Gras darüber wachsen lassen können, viele haben viel Schlimmeres getan und sind jetzt obenauf â¦Â«
Unschlüssig blieb Mutter vor dem Herd stehen.
»Da kam der damalige Kreisparteisekretär zu ihm, Ion war noch Lyzeumsdirektor, und forderte, er solle ihm sein Abschlussdiplom geben, dabei hatte er gar keinen Unterricht besucht. Er hatte nur vier Klassen geschafft, ein Nichtsnutz, ein Niemand ⦠Der ist schon lange in Bukarest, ein ganz hohes Tier ⦠Ion wollte ihm nicht wehtun, du weiÃt ja, wie er ist, aber etwas UnrechtmäÃiges zu tun, dazu konnte er sich auch nicht durchringen, also riet er ihm, er solle sich am Abendlyzeum einschreiben. Das war gerade eröffnet worden. Er versprach ihm, man würde in Betracht ziehen, dass er sehr beschäftigt war, und ihm helfen ⦠Doch der Baciu, so hieà der Kreissekretär, der brauchte keinen Unterricht, der wollte das Diplom,
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