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Der gleiche Weg an jedem Tag

Der gleiche Weg an jedem Tag

Titel: Der gleiche Weg an jedem Tag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriela Adamesteanu
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er sie nicht loswerden konnte, dem Regen preisgegeben hatte. In den Rissen des Holzes hatte sich der Staub eingenistet. Da standen Stühle mit nach oben gereckten Beinen, aus dem Leim gegangenen Lehnen und zerfleddertem Bezug, ein alter Schrank mit hängenden Scharnieren, die kleine Kiste, in der Biţă seinen Müll sammelte, daneben eine Blumenvase voll grünlichen Wassers, das nach Sumpf müffelte. »Er ist nicht auferstanden«, seufzte Mutter mit dem Rücken zum Zimmer, wo wir vor roten und grünen Eiern und dem Hefezopf, den Biţă aus der Konditorei Scala gebracht hatte, auf sie warteten. Wie hätte er auch auferstehen sollen? Er war nicht auferstanden und hatte keinem von denen, die in den Gräbern warteten, ein Leben bereitet, das Holzkreuz war mittlerweile schwarz geworden vom Frühjahrsregen, und aus der durchtränkten Erde sprossen kleine Unkrautpflänzchen und strähnige Büschel Schleierkraut. Wäre er damals auferstanden, würde er jetzt wieder auferstehen, aber es war nie irgendeiner auferstanden. Und sie war, statt dort zu bleiben und jeden Tag zu ihm auf den Friedhof zu gehen, hierher gekommen … Warum nur? Sie begann, leise schluchzend, bitterlich zu weinen.
    Â»Komm schon, Margareta, wir wollen anstoßen«, rief Biţă ungeduldig.
    Â»Lasst mich in Ruhe«, sagte sie, und ihre gebeugten hageren Schultern zuckten. »Lasst mich …«
    Sie hasste die Festlichkeit im Haus und die Straßen, auf denen die anderen weiterhin in kleinen Gruppen dahinzogen und lachend die brennenden Kerzen vor sich her trugen, und diesen neuen Frühling, der sich wieder vom Tode zum Tode erhob. Die wussten es nicht, weil es sie nicht betraf, denn an diese Dinge denkt man erst, wenn sie einem zustoßen. Einen Augenblick lang wunderte sie sich selbst, als ihr bewusst wurde, dass auch sie bisher nie daran gedacht hatte. Und selbst wenn man’s weiß, was kann man schon tun?, dachte sie und fuhr sich mit der Hand durch die vernachlässigte Dauerwelle, zog die Balkontür hinter sich zu und setzte uns das düstere Gesicht und den steifen Körper vor.

Kapitel XV
    U m diese Zeit wurde es ruhig, und in dem Zimmer hinter den geschlossenen Rollläden war es kühl und dunkel. Es machte wieder einen nackten, provisorischen Eindruck wie damals, als ich es zum ersten Mal gesehen hatte, mit den weißen Eisenbetten unter den gleichen braunen, groß und gelb geblümten Überdecken. Ich sah noch einmal hinüber zu Marilenas leerem Bett, wie sie es bei ihrer Abreise gestern Nachmittag zurückgelassen hatte.
    Â»Wenn ihr nur nichts passiert ist …«, flüsterte Nana, die meinem Blick gefolgt war.
    Sie steckte die Nelken, die Silviu ihr gestern Abend gebracht hatte, eine nach der anderen in eine Milchflasche.
    Â»Passiert wird ihr schon was sein in dieser Nacht«, kicherte Didi. Sie hockte auf ihrem Bett und lackierte ihre Zehennägel mit weißem Perlmutt.
    Nana ordnete die Blumen in der Flasche, als hätte sie gar nichts gehört. Auch ich unterdrückte ein Lachen und schielte verstohlen zur Seite. Wie schaffte es Nana bloß, keinen Augenblick zu vergessen, dass wir alle Freundinnen waren, und nie etwas Schlechtes über eine zu sagen, die nicht dabei war?
    Â»Wieso bleibst du nicht? Wir sind ganz still …«, sagte Nana zu mir, als sie sah, dass ich mein Heft unter den Arm klemmte.
    Ich wusste selbst nicht, warum ich nicht bleiben und zusammen mit ihnen lesen mochte, auch nicht, weshalb ich den Augenblick kaum erwarten konnte, wenn alle hinunter zum Essen gingen und ich ein paar Minuten allein war. Vielleicht war es nur, weil ich, soweit ich zurückdenken konnte, das Zimmer stets mit anderen geteilt hatte.
    Als ich aus dem dunklen Korridor hinaustrat, stach mir das Licht in die Augen wie riesige funkelnde Splitter. Die reglose Luft war schwül und stickig. Ich stakste über die auf Bettvorlegern, Decken und Morgenmänteln ausgestreckten Körper und suchte mir ein Plätzchen am Geländer. Der Beton der Terrasse wurde nur vom Regen gespült, und an den Ecken und Kanten sammelte sich der Schmutz in langen dünnen Rinnsalen. Mit vom Sonnenlicht verzerrten Zügen lagen die Mädchen da, die Arme im Nacken gekreuzt, nur wenige versuchten in dem geschwätzigen, von Gelächter durchsetzten Heidenlärm zu lesen. In meiner Nähe spielte eine kreischende Gruppe Siebener, ich kannte sie

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