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Der gleiche Weg an jedem Tag

Der gleiche Weg an jedem Tag

Titel: Der gleiche Weg an jedem Tag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriela Adamesteanu
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und wandte ihnen den Rücken zu, damit sie mich nicht einluden, es waren Martas ehemalige Zimmergenossinnen. Die gebräunteren unter ihnen hatten Wasser in leeren Joghurtgläsern dabei, ab und zu standen sie auf und benetzten ihre Gliedmaßen, damit die Sonne besser wirkte.
    Â»Hey«, rief jemand, ich wandte mich um und suchte verwirrt in dem Gewühl nackter Arme und Beine.
    Von gerade gegenüber winkte mir die Predescu zu.
    Â»Du auch?«, fragte ich, als ich den wulstigen dicken Ehering mit zahlreichen eingravierten Sternchen sah, der vor lauter Neuheit heftig glitzerte … »Seit wann?«
    Â»Ach, schon lange … Seit einem Monat …«
    Es erschien mir nicht ungewöhnlich, eher im Gegenteil. Die fiebrige Spannung vor der nahenden staatlichen Zuteilung von Arbeitsplätzen äußerte sich in der wachsenden Zahl von Eheschließungen. Immer weniger Mädchen des Abschlussjahrgangs blieben am Samstag abends allein, und immer weniger fanden sich bereit, mit Jüngeren tanzen zu gehen. Sie kannten das Gedränge vor den Toren, den rasselnden Lautsprecher und die monotone Reihenfolge der Melodien auf den bekannten Tonbändern. Vor allem aber kannten sie die paar Jungs ihres Jahrgangs, die als einzige unverheiratet geblieben waren, die sie schon im ersten Jahr beim Tanz kennengelernt und mit denen sie sich vielleicht noch ein paar Mal getroffen hatten, ohne dass etwas daraus geworden wäre. Darum gingen sie ihnen aus dem Weg oder wandten sich ab, wenn sie sie sahen, und setzten ein gelangweiltes Gesicht auf, wenn sie zwischen den Paaren hindurchgingen, wobei auch diese ihnen auswichen.
    Â»Die bekannten Fressen … Der Glatzkopf, der seinerzeit hinter Magda her war … Diese Leute scheinen nichts anderes im Kopf zu haben«, antworteten sie lustlos, wenn die anderen, die gerade vom Treffen mit ihren Ehegatten oder Verlobten kamen, herablassend und wehmütig fragten: »Na, was ist noch los beim Tanz?«
    Das hielt sie manchmal sogar davon ab, am folgenden Samstag wieder hinzugehen, so dass sich am Wochenende eine beunruhigende Leere vor ihnen auftat.
    Â»Ich muss …«, sagte die Predescu und stand auf. Die allzu weiße Haut ihrer prallen Schenkel war rot gefleckt, als hätte sie sich verbrüht. »Mich erwischt sie sofort, wenn ich noch bleibe, bin ich heute Abend wie ein Krebs, und Mişu geht nicht mehr ins Theater mit mir …«
    Â»Gehst du schon wieder ins Theater? Als ich dich vorige Woche getroffen habe, bist du auch ins Theater gegangen …«
    Â»Was kann man schon tun«, lachte sie und steckte ihren Spiegel in die Tasche. »Wir haben der Reihe nach alle Filme und alle Theaterstücke mitgenommen, die uns noch fehlten … Jetzt ist Schluss mit Bukarest …«
    Wie sie das so leichthin sagt, sogar lachen kann sie dabei, wunderte ich mich. An ihren Haarwurzeln und im dunklen Flaum des Damenbarts traten kleine Schweißperlen hervor. Während sie sich nach dem Glas mit warmem Wasser, den verstreuten Stiften und dem Heft bückte, in dem sie gelesen hatte, trat ich ein paar Schritte zurück und stützte die Ellbogen auf das Geländer, zog sie aber sofort wieder weg. Die Sonne hatte den Blechbeschlag des Handlaufs zum Glühen gebracht. Wenn es ihr so leichtfällt zu sagen, Schluss mit Bukarest, hat sie wohl verzichtet, sagte ich mir. Ob es eine Zeit gegeben hat, als sie so wie ich hoffte, hierzubleiben? Und ist sie erst danach, als sie gesehen hat, wie schwer es ist, wie alle anderen zu der Einsicht gelangt, dass es nur darauf ankommt, nicht allein in irgendeines der Dörfer verschlagen zu werden, die am Schwarzen Brett im Foyer der Fakultät aufgelistet sind? Bei dem Versuch, mich abzustützen, ohne das Geländer zu berühren, schrammte mein schlaffer Körper am rauen Putz der Mauer entlang. Die Hitze hatte meine Gedanken und meine Bewegungen mit angstvoller Ungewissheit gelähmt. In den Monaten seit Onkel Ions Tod hatte mir jeder Tag weitere konfuse und unangenehme Gewissensbisse verursacht. Ich war immer zu spät dran gewesen, das spürte ich jetzt in der Sonne, die mir die Tränen in die Augen trieb und meine Hände vor Ungeduld zittern ließ. Als hätte auch ich eine Zuteilung vor mir wie sie, so bedrohlich erschien mir der Sommer, der vor mir lag. Von der Reklame auf dem Dach gegenüber, die jede Nacht rot in unser Zimmer strahlte, war am Tag

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