Der globale Polizeistaat
ein Gegeneinander, in dem Menschen nicht als Rechtspersonen, sondern nur als bezahlte Büttel der Über-Rechtsperson Staat eine Rolle spielen. Aus dem Krieg der Staaten wird, Parole »Caroline«, ein Krieg der Menschen.
Die Zurückhaltung des Sicherheitsrates bei seiner Resolution anlässlich der Anschläge vom 11. September 2001 mag aber auch mit der Unsicherheit hinsichtlich der Frage zu begründen sein, welches eigentlich eine angemessene Reaktion der »Selbstverteidigung« gegen die Attentate von Manhattan und Washington sein kann. Wie verteidigt man sich gegen den bereits vollzogenen Angriff? Wie verteidigt man die Unversehrtheit des Staatsgebiets der USA, wenn die Eindringlinge tot sind oder das Land freiwillig wieder verlassen haben? Wie verteidigt man im Nachhinein das Leben der fast 3000 Menschen, die in den Trümmern der Twin Towers starben? Das herkömmliche Mittel jedes Staates, die Verletzung seiner Ordnung im Nachhinein zu verteidigen, ist das Strafrecht. Darauf weist der Sicherheitsrat ja auch nicht zufällig hin. Doch den Rächern im Weißen Haus war das nicht genug. Sie wollten Krieg.
Das kriegerische Recht der Selbstverteidigung ist auf das Erforderliche beschränkt. Rache und Vergeltung sind nicht erlaubt. Kein Militärakt jedoch ist erforderlich, sich gegen Vergangenes zu wehren. Die »Unmittelbarkeit« des Angriffs, gegen den ein Staat sich verteidigen darf, ist darum eine wichtige Voraussetzung des völkerrechtlichen Selbstverteidigungsrechts: Es muss etwas Konkretes zu verteidigen geben. Im Falle des 11. September wäre danach nur die Verteidigung gegen ein unmittelbar bevorstehendes weiteres Attentat erlaubt gewesen. Darauf allerdings gab es keinen Hinweis - vielmehr gilt der Erfahrungssatz, dass nach einer derart großen Operation die Kräfte einer Terrororganisation erst mal geschwächt sind, sodass ein erneuter Schlag eher unwahrscheinlich ist.
Dass gleichwohl niemand durchgreifende rechtliche Bedenken gegen einen Einmarsch der Vereinigten Staaten und seiner Verbündeten in Afghanistan hatte und bis heute hat, dass auch deutsche Soldaten sich an der Operation Enduring Freedom (OEF) beteiligen, ist letztlich der alten schmutzigen Geschichte an den Niagarafällen zu verdanken: Auch der Angriff gegen das Schiff »Caroline« geschah ja nicht zur Verteidigung gegen einen unmittelbar bevorstehenden Übergriff der Rebellen gegen die Engländer, sondern um den Gewalttätern rein präventiv den Waffennachschub abzuschneiden. Präventive Selbstverteidigung? Im »Caroline«-Fall wurde sie 1837 für zulässig gehalten, eben weil die Bedrohung eine »necessity of self-defence, instant, overwhelming, leaving no choice of means, and no moment for deliberation« begründet habe.
»Necessity of self-defence, instant, overwhelming, leaving no choice of means, and no moment for deliberation«, so beteten es die Rechtsberater des amerikanischen Präsidenten am 12. September 2001 herunter 24 : Parole »Caroline«, so begann der Krieg gegen den Terror. Es handelte sich, völkerrechtlich gesprochen, um eine präventive Selbstverteidigungsmaßnahme. Und in den folgenden Monaten wurde die historische Aktion der Not für eine neue weitreichende Doktrin genutzt. Eine neue Sicherheitslage,
in der Terroristen oder Schurkenstaaten womöglich mit ABC-Waffen ausgerüstet sind, dulde kein Abwarten: »The United States will, if necessary, act preemptively«, heißt es in der Nationalen Sicherheitsstrategie von 2002. Was vor knapp 150 Jahren als Völkernotrecht entstand, wurde nun übers Gewohnheitsrecht zur schlechten Gewohnheit: Der präventive Krieg. Der erste präventive »Verteidigungs«-Krieg der Vereinigten Staaten war der Angriff auf den Irak, der doch zugleich die Problematik eines solchen Völkerrechtsgewächses deutlich werden ließ: Präventionsgründe wie die angebliche Aufrüstung des Saddam-Regimes mit Massenvernichtungswaffen lassen sich von einem cleveren Geheimdienst schnell konstruieren. Und noch schneller geht es, wenn der Gegner nicht etwa ein Staat sondern ein Terrornetzwerk ist.
Der vom Sicherheitsrat immerhin geduldete Schritt zur präventiven Selbstverteidigung gegen den Terror ist für den Berliner Völkerrechtsprofessor Georg Nolte der »Schritt in eine andere Rechtsordnung«. Der Wissenschaftler, zugleich Mitglied der Völkerrechtskommission der Vereinten Nationen, schreibt unermüdlich gegen den Wahnsinn eines präventiven Kriegsrechts an: In sehr viel ernsteren Situationen als der einer
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