Der globale Polizeistaat
seiner Kollegin Brigitte Zypries im Justizministerium. Und die ist von der anderen Partei, sieht manches doch noch etwas liberaler als der harte Hund im Innenamt. Er lässt intern auch keinen Zweifel daran, dass er das Strafrecht für das falsche Instrument hält, wenn es gegen Terroristen geht. 22
Was Schäuble versucht, heißt in seinem Hause die »präventive Wende«. Der Innenminister setzt aufs Polizeirecht. Er ist der erste deutsche Innenminister, der klar ausspricht, wo es langgehen muss: »Es geht nicht darum, das letzte Attentat zu verhindern, sondern das nächste.« Gefahrenabwehr, das andere Kapitel der inneren Sicherheit, sei wichtiger als Strafrecht, sei das Gebot im Kampf gegen den Terrorismus, etwas tun, bevor es zu spät ist.
Das klingt so einleuchtend, dass man glauben sollte, es wäre schon immer so gewesen: Der Krieg gegen den Terror ist eine Sache der Polizei, nicht der Strafverfolger. Aus der Sicht der Verfolgten und unbeteiligter Beobachter ist das ohnehin kein großer Unterschied: Immer sind es Polizisten, die - zumindest im Inland - Jagd auf Terroristen machen. Nur der Jurist zieht zwischen Polizeiarbeit im Auftrag der Strafverfolgung und Polizeiarbeit zur Gefahrenabwehr eine Grenze: Da steht das Kreuz. Verfolgen die Sicherheitskräfte Verbrechen oder Verbrecher, werden sie »hinterm Kreuz« tätig, als Kriminalpolizei im Auftrag der Staatsanwaltschaft. Der Innenminister hat hier nichts zu sagen, die Anwendung der Strafprozessordnung läuft unter der Verantwortung der Justizminister von Bund und Ländern. Versucht die Polizei, »vor dem Kreuz«, Verbrechen zu verhindern, tut sie das unter Verantwortung der Innenminister, denn es handelt sich um Gefahrenabwehr. Hier herrscht der Geist der Prävention, hier geht es nicht um Schuld und Sühne, denn es ist ja noch gar nichts passiert. Ein Täter, der im präventiven Bereich der Polizei ins Visier gerät, ist ja gerade kein Täter, sondern jemand, der Täter werden könnte. Wenn man vorhersehen kann, dass er vielleicht etwas tun wird, was dann ein Verbrechen wäre, ist er auch noch lange kein »Verdächtiger«. Verdächtig kann man nur sein, eine Tat begangen zu haben, nicht, sie tun zu werden. »Verdächtige« sind Objekte staatsanwaltlicher oder kriminalpolizeilicher Befassung. Die Personen, die wahrscheinlich in der Zukunft zum Täter werden, heißen - gefahrenabwehrrechtlich - »Störer«. Der Innenminister jagt Störer, der Justizminister jagt Verbrecher.
Wie soll man diese Störer nennen, um die es Herrn Schäuble geht? »Terrorgeneigte Bürger« wäre rechtlich korrekt, hinzu kommen »terrorgeneigte Ausländer« im Verantwortungsbereich der inländischen Sicherheitsbehörden. Das klingt alles ein wenig ungewohnt, weil die Mitbürger des deutschen Innenministers es sich angewöhnt haben, pauschal über »Terrorverdächtige« zu sprechen oder, feiner, über Leute, die »in den Terrorismus verstrickt sind« - was ja, wie wir aus Paragraf 129a und Paragraf 129b wissen, auch eine Straftat ist. Ziel dieses Buches ist es, die schwierigen Verhältnisse im Krieg gegen den Terrorismus deutlich werden zu lassen. Dies setzt eine möglichst präzise Begrifflichkeit voraus, mögen auch, wie der Innenminister meint, die »Begriffe verschwimmen«.
Das Polizeirecht ermöglicht es den Sicherheitskräften einzugreifen, bevor etwas passiert ist. Das ist der Vorteil. Das Polizeirecht hat aber herkömmlich zwei erhebliche Nachteile: Zum einen ist es zersplittert in 17 verschiedene Gesetze der 16 Bundesländer und des Bundes. Denn Polizeirecht ist vor allem Ländersache und schon deshalb schnellen und eindeutigen Verschärfungen durch die Berliner Regierungskoalition entzogen. Alles, was an rechtlichen Voraussetzungen im Kampf gegen den Terror nötig ist, muss erst durch die Mühle der Innenministerkonferenz der Länder und dann in den politisch verschiedenfarbigen Länderkoalitionen einzeln verabschiedet werden. Der ungeduldige Bundesinnenminister, der die Verantwortung für die Sicherheit Deutschlands auf seinen Schultern sieht, hat bei alledem nichts oder allenfalls beratend mitzureden. Zum anderen verfügt das Polizeirecht herkömmlich bei Weitem nicht über so scharfe Waffen wie die vom Bund verantwortete Strafprozessordnung. Von seiner ganzen Konstruktion her ist es nicht auf Personen, sondern auf konkrete, kurzfristig zu beseitigende Situationen bezogen. Die geduldige Beschäftigung mit dem Urheber von Gefahren tritt zurück hinter die
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