Der globale Polizeistaat
Polizeistaat auf amerikanischem Boden, die hysterische Furcht vor Kommunisten, die Gründung des FBI als paramilitärische Truppe, um Ruhe im Land zu schaffen. Schließlich, als Folge der Wirtschaftskrise, der New Deal des Präsidenten Franklin D. Roosevelt, aus der Sicht des liberalen amerikanischen Zukunftsglaubens eine Art Wirtschaftsdiktatur.
Die brutale Skizze muss reichen: So geht es, wenn die rechtliche Ordnung der zivilisierten Welt hinter der Entwicklung ihrer Gesellschaften hinterherhinkt. Die Erfindung des Staates, des Rechtsstaates, die Regeln des Strafrechts und der Polizei als Schutztruppe der guten Ordnung - all dies geschah Jahrhunderte vor dem 9. September 1908, als die Grenzen der alten Ordnung bedeutungslos wurden wie einst in der Epoche der Renaissance zu Beginn der Neuzeit. Die Erfindung des Buchdrucks hat die Aufklärung gebracht - und das Reichskammergericht. 1495, kurz nach der Entdeckung Amerikas, wurde auf dem Reichstag zu Worms der Ewige Landfriede verkündet - statt Fehde und Rache, Blut und Tränen sollte künftig das Wort des Gerichts herrschen. Frieden durch staatliches Recht: So alt ist die Idee.
Doch die Staatsideen der frühen Neuzeit sind reparaturbedürftig, seit das 20. Jahrhundert am alten Staat des Thomas Hobbes nagte. Die Globalisierung ist ja nicht als plötzliches, katastrophales Ereignis zum Ende des vergangenen Jahrhunderts
über die Menschheit gekommen, sie stellt vielmehr einen allmählichen Prozess dar, der spätestens seit der Erfindung der Fliegerei und der elektrischen Kommunikation seinen Anfang genommen hat. Die Erfolgsgeschichte der industriellen Revolution ist ohne weltweiten Austausch von Informationen, Leistungen, Finanzen - und Menschen - gar nicht denkbar. Und schon lange waren es einzelne Wirtschaftsmächte erst in Europa, später die USA, die versuchten, den armen Rest der Welt für sich arbeiten zu lassen.
Die Staatenordnung geriet auf diese Weise immer weiter unter Druck. Die drei Ingredienzien, die einen Staat ausmachen, wurden zunehmend unwichtiger: Das Staatsvolk mischte sich mit den Völkern anderer Staaten, reiste frech umher und verlor an Bodenständigkeit. Zweitens wurde das Staatsgebiet in dem Maße verfügbar, in dem die Grenzen überwindbar und durchlässig wurden. Die fünf comichaften »Freunde der Fährnis«, die in Pynchons Roman ort- und zeitlos in ihrem märchenhaften Luftschiff mit Funkverbindung zu einer ebenso ort- und zeitlosen Instanz herumsegeln, um die Erdkugel fliegen und manchmal auch im Fluge eine Abkürzung durch geheime Kontinentaltunnel nehmen, sind eine lustige Illustration des heute selbstverständlichen Phänomens, dass Staaten ihre Gebietshoheit jedenfalls nicht mehr mit Wehrtürmen und Grenzsoldaten sichern können. Imperien, die jahrtausendelang verzweifelt versucht hatten, ihre Grenzen dicht zu halten, sind erst durch die Fliegerei, dann durch das Fernsehen und schließlich das Internet in die globale Kommunikation einbezogen worden.
Die Staatsgewalt ist drittens auch nicht mehr das, was Thomas Hobbes sich darunter vorgestellt hat: Der Leviathan im Kettenhemd aus lauter kleinen Menschlein ist eine Figur, die geschützt wird, um zu schützen, die ihr Gewaltmonopol ausübt und Gehorsam fordert, um Sicherheit zu bieten. Und Leviathan hat ein Schwert in der Hand - um sich und seine Leute gegen andere, gegen äußere Mächte zu verteidigen. Die Gewährung von innerer und äußerer Sicherheit ist, nach Auffassung des
deutschen Innenministers Wolfgang Schäuble »Ausgangspunkt modernen Staatsdenkens«, von dieser Idee leite »die Institution Staat die eigentliche und letzte Rechtfertigung her«. Doch nicht nur Schäuble hat Schwierigkeiten, dieser Idee gerecht zu werden. So gibt es - dem Ewigen Landfrieden zum Trotz - nichtstaatliche Gewalthaber, die nicht nur den Bürgern sondern auch dem Staat gegenüber so bedrohlich auftreten, dass das Bild vom Leviathan hässliche Kratzer bekommen hat. Zu den Bedrohungen des staatlichen Gewaltmonopols gehört traditionell die Macht der international organisierten kapitalistischen Wirtschaft, ebenso - und natürlich nicht in einem Atemzug zu nennen - jene unheimliche Macht, die wir heute als »Terrorismus« bezeichnen, die aber mit unterschiedlicher Zielsetzung und unter verschiedenen Namen die Staatenwelt schon lange quält: Aufständische, Partisanen, Rebellen, Sezessionisten, Revolutionäre - sie alle haben das staatliche Gewaltmonopol schon immer infrage gestellt. Asymmetrische
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