Der globale Polizeistaat
Hauruck-Notwendigkeit, die Gefahr zu beseitigen - egal, wer dafür verantwortlich ist. Die Störer als Verantwortliche sind oft gar nicht greifbar. Dann werden sie
nicht etwa gesucht, sondern dann darf die Polizei einen Unbeteiligten heranziehen oder die Sache selbst geradebiegen. Der klassische Anwendungsfall solcher polizeilichen Maßnahmen ist das Abschleppen falsch geparkter Autos vor Feuerwehreinfahrten. Das Polizeirecht ist ein pragmatisches, friedliches Recht, da geht es nicht um die Bekämpfung von Feinden rund um den Erdball, sondern um Ruhe im Dorf.
Für den Terrorbekämpfer bringt es denselben Nachteil wie das Strafrecht: Es kommt ebenfalls zu spät. Zwar muss der Gefahrenabwehr-Polizist nicht wie sein Kollege von der Kripo warten, bis eine Straftat tatsächlich begangen ist, aber auch sein Handeln setzt meist voraus, dass etwas passiert ist, dass Umstände eingetreten sind, die ein konkretes Gefahrenurteil erlauben und Anlass für rechtsstaatliches, verhältnismäßiges Handeln sind. Doch genau dies ist im Kampf gegen den Feind nicht möglich: Der Terrorismus lebt von der Überraschung, vom Angriff aus dem blauen Himmel von New York am 11. September 2001, von der Explosion mehrerer Rucksackbomben in der schläfrigen Atmosphäre eines Madrider Vorortzuges morgens um 7. 40 Uhr am 11. März 2004. Haben die Wächter in Uedem einen »Renegade« erst auf dem Schirm, ist es leicht, von einer Gefahr zu sprechen. Doch ist es dann nicht zu spät?
So stellt das Recht der Gefahrenabwehr die Antiterrorstrategen bei allen Kompetenzproblemen vor dasselbe Dilemma wie das Strafrecht: Seine rechtsstaatliche Anwendung setzt Umstände und Indizien voraus, die abzuwarten niemand mehr riskieren will. Wer das so betrachtet, kann fast Mitgefühl mit dem Bundesinnenminister bekommen, wie er verloren an seinem großen Konferenztisch im Gespräch sitzt und den Kopf immer tiefer in die linke Hand sinken lässt: »Was soll ich denn machen, in dieser Situation?« Schäuble wirbt in Gesprächen mit seinen Kritikern um Einsicht: Die Konstruktion des Polizeirechts müsse geändert werden. Der Bundesminister müsse mehr von den Länderkompetenzen bekommen, das Polizeirecht müsse schärfer werden. Ein gutes Stück ist Schäuble schon vorangekommen. Er
hat das ihm unterstehende Bundeskriminalamt, seinem Namen zum Trotz, zur zentralen Instanz der vorbeugenden Terrorbekämpfung ausgebaut. Die Zuständigkeit für einen Teil der präventiven Polizeiarbeit luchste er den Ländern bei der Föderalismusreform schon 2006 ab. Das war ein Tauschgeschäft: Mehr Gefahrenabwehr für den Bund, dafür mehr Hochschulpolitik für die Länder. Und mit dem neuen Zuständigkeitspfund hat der Innenminister gewuchert: Nun habe er die präventiven Kompetenzen einmal, argumentierte Schäuble vor dem Bundestag, nun müsse er sie auch »ausfüllen«. Diese »Ausfüllung« beschäftigte in den folgenden Jahren dann zunehmend die öffentliche Debatte in Deutschland: Lauschangriffe, Videoangriffe, Onlinedurchsuchungen, organisierte Durchforstung des Internet, biometrische Passregister.
Doch all diese Bemühungen stoßen an die Grenzen des Rechtsstaates. Verdacht und Gefahr sind die Säulen des konventionellen Rechtes der inneren Sicherheit. Der Verdacht einer Straftat legitimiert die Kriminalpolizei, auf Kosten der Freiheit »Verdächtiger« tätig zu werden, die Gefahr eines Unheils legitimiert die Schutzpolizei, Maßnahmen zur Abwehr zu treffen. Verdacht wie Gefahr setzen jeweils voraus, dass »etwas passiert« ist, das die Vermutung, die hinter dem Verdacht oder der Gefahrenannahme steckt, stützt; etwas, das notfalls vor Gericht einer Überprüfung standhält und die Antwort auf die Frage zulässt, ob es im Einzelfall gerechtfertigt war, die Freiheit eines Bürgers - Störers, Verdächtigen - einzuschränken. Diese objektiv überprüfbaren Schwellen für staatliches Handeln muss es im Rechtsstaat geben. 23 Werden sie plattgemacht, so warnt der Exverfassungsrichter und Staatsrechtsprofessor Dieter Grimm, »kann man den Staat nicht mehr durch rechtstreues Verhalten auf Distanz halten«. Völlig ohne eigenes Zutun müsse jeder damit rechnen, zum Objekt staatlicher Inquisition zu werden. Dies wäre das Ende der Freiheit, die vor dem Feind zu verteidigen der Staat angetreten ist.
Mit der Begründung, aus Furcht vor dem Feind früher handeln zu müssen, lassen sich die Umstände, die vom Gesetz als Voraussetzung
für polizeiliche Eingriffe angesehen werden,
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