Der globale Polizeistaat
verdächtigen Daten bekommen, sondern alle. Seit 2002 hat praktisch niemand auf der Welt mehr eine Auslandsüberweisung vornehmen können, ohne dass sein Name, der Name und die Adresse des Empfängers, Kontonummern, Verwendungszweck sowie besondere Hinweise bei der CIA landeten. Wie lange die gesetzwidrige und heimliche Zusammenarbeit dauerte, ist bislang nicht geklärt. 2003 jedenfalls reiste die Swift-Spitze nach Washington, um die weitere Kooperation aufzukündigen - ließ sich aber erneut in die Pflicht nehmen. Im Juni 2006 schließlich wurde das Projekt durch eine Veröffentlichung der New York Times zum Skandal. Da gab es im US-Justizministerium jedoch kaum noch jemanden, der sich hätte aufregen können. An der Spitze saß mittlerweile Bushs Scharfmacher Alberto Gonzales, und der hatte mit einer nationalen Säuberungsaktion sämtliche Staatsanwälte, die nicht loyale Bushies waren, aus dem Amt gedrängt.
In jenem Sommer machte eine Richterin in Detroit von sich reden, Anna Diggs Taylor vom Federal District Court in Michigan. In einem Urteil über die Schnüffelpraxis der Bush-Regierung wagte sie offene Kritik am Kriegsrecht: »Es gibt keine Erbmonarchie in Amerika, und es gibt keine Staatsgewalt außerhalb der Verfassung.« Das Urteil wurde von der nächsten Instanz kassiert. Begründung: Die Klage sei unzulässig, weil der Kläger nicht beweisen konnte, dass er wirklich abgehört worden war.
Ende des Lehrstücks: Wie war es möglich, dass ein ganzes Rechtssystem, Gerichte inklusive, unter den Augen des Parlaments von ein paar skrupellosen Rechtsexperten gleichgeschaltet wurde? Dass die größte Macht und die älteste Demokratie der Welt sich um ihre eigene Verfassung nicht mehr schert? Eric Lichtblau, der Journalist, dem all die interessanten Interna aus dem Washingtoner Justizministerium zu verdanken sind, schreibt über die dramatische Wende seines Landes zum Präventionsstaat: »Schuld und Unschuld wurden zu antiquierten Begriffen, weil es nicht länger darum ging, einfach Beweise gegen jemanden zu sammeln, zu beweisen, dass jemand ein
Verbrechen begangen hatte. Nun war der Auftrag, jemanden herauszufinden, der die Absicht oder die Motive haben könnte, sich in Terrorismus zu verstricken - und das, bevor er losschlagen konnte.«
Was soll daran so schlimm sein? Der amerikanische Versuch, die rechtliche Antwort auf die Herausforderung des Terrorismus zu finden, hat nicht einfach die Grenzen des Rechtsstaates überschritten - er ist die Negation des Rechtsstaates. Denn die Bush-Regierung hat die Grenzen durchbrochen, die einen Rechtsstaat, nein, die den modernen Staat überhaupt konstituieren. Mit dem Import von Kriegsbefugnissen in die innere Rechtsordnung wurde die Gewaltenteilung außer Kraft gesetzt. Mit der Erweiterung der polizeilichen Gefahrenabwehr auf die anlasslose Prävention wurde die Gesetzesbindung außer Kraft gesetzt. Mit dem Export von Überwachung in die ganze westliche Welt wurden die Grenzen der Staatsgewalt über die Grenzen des Staates hinaus ins Unendliche erweitert. So baut man einen globalen Polizeistaat.
Dies alles kann ein neuer, ein besserer Präsident reparieren. Doch die Welt ist unheilbar befallen von der Idee, die dahinter steckt: Die Würde und die Intimität von Menschen zu durchbrechen, um in sie hineinzuschauen, um herauszufinden, was sie vorhaben, planen, denken. Die Idee, Menschen für gefährlich zu halten, weil es nicht möglich ist, ihnen etwas zu beweisen, ist die Grundidee des totalitären Staates. Es ist der Staat, der Menschen als Feinde betrachtet.
Ein solcher Staat ist nicht nur an Lagern wie Guantanamo zu erkennen und auch nicht allein daran, dass er seine Sicherheit durch Folter zu erzwingen sucht. Denn die Zukunft ist subtiler. Das wird auf dem Flughafen von Baltimore im US-Staat Maryland deutlich. Im Wartebereich vor der Sicherheitskontrolle geht es richtig menschlich zu. Blaues und violettes Licht schafft Wellnessatmosphäre, Vogelstimmen kommen aus versteckten Lautsprechern, ein esoterischer Klangteppich soll für Entspannung sorgen. Auch das ist eine Methode, Terroristen zu fangen. Denn
wer sich hier nicht der Norm entsprechend locker verhält, fällt auf. Sicherheitskräfte beobachten die Szene genau und bitten jeden, der sich als Nervenbündel erweist, diskret zur Sonderkontrolle. Terroristen, so scheint die Erfahrung zu sein, mögen keine Vogelstimmen.
Geheimdienstler arbeiten an einem Projekt, mit dem das gesamte soziale Verhalten amerikanischer
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