Der globale Polizeistaat
Selbstmordanschlag des mittlerweile 21-jährigen Neunkircheners zu verhindern. Hinweise aus ganz Deutschland locken Fahnder zu mutmaßlichen Verstecken des Terrorverdächtigen, mal in Frankfurt, mal in Fulda. Wäre Deutschland Amerika, ginge der Farbalarm des Innenministeriums nun auf »Orange«. Im Bundestag steht die Verlängerung des Afghanistanmandats an, ein schrecklich guter Zeitpunkt für einen großen Terroranschlag in Deutschland. Die Polizei ist nervös. Auf dem Kölner Flughafen stoppen Sicherheitskräfte eine Maschine, die soeben nach Amsterdam abheben will. Beamte dringen in das Flugzeug ein und bitten einen Somalier und einen Deutschen, sich wieder abzuschnallen und mitzukommen: Sie seien vorläufig festgenommen. Die beiden jungen Männer werden der nordrhein-westfälischen Islamistenszene zugerechnet und wollen nach Uganda reisen, wo Bürgerkrieg tobt. Vermutlich, so die Ermittler, wollten sie von dort weiter nach Pakistan in ein Ausbildungslager, möglicherweise kennen sie Breininger, jedenfalls haben die Ermittler beim heimlichen Schnüffeln im Gepäck des einen der beiden einen Brief der Lebensgefährtin gefunden, den ein Polizist als Abschiedsbrief deutet, als Abschiedsbrief an einen jungen Dschihadisten, der demnächst seine Erfüllung in einem Selbstmordanschlag finden wird. Der Polizist schlägt Alarm, der Innenministerr gibt die Anordnung: sofort festnehmen.
Wenige Tage später müssen die beiden wieder freigelassen werden, nichts Konkretes war ihnen vorzuwerfen. Was ist verboten daran, nach Uganda zu fliegen? Empörung bei Terrorermittlern der Amerikaner, Israels und selbst Pakistans: Die Fahnder dreier Kontinente waren auf der Spur der beiden jungen Leute, um ihren Flug ins Terrorlager zu verfolgen - und diese Trottel aus Köln nehmen sie einfach fest. Aber hätte man denn warten sollen, bis sie verschwinden - wie Breininger?
Im Sommer ist ein Video des Gesuchten aufgetaucht: Erics Milchgesicht mit Kinnbart und Turban. Man möchte lachen über die Maskerade, ist Karneval in Köln? Stockend liest er vom Blatt, was er der Welt zu verkünden hat und was das deutsche Fernsehen noch am selben Abend ausstrahlt: Es werde auch Anschläge in Deutschland geben, als »Strafe« für den Einsatz in Afghanistan. Zur Bekräftigung betätigt Eric mehrfach den Abzugshahn seiner Kalaschnikow, dass es knallt.
Mein Gott, Eric. Wer hat dir das aufgeschrieben? Sollen wir wirklich Angst vor dir haben? Wohl eher aus Ratlosigkeit denn aus Vorsicht ließen die Fahnder die Plakate mit Erics Gesicht hängen, die Sonderkommission löste sich aber auf. Eine Analyse des Videos ergab, dass es irgendwo sehr weit weg aufgenommen worden sein musste - jedenfalls nicht in Deutschland.
Vielleicht ist Eric Breininger längst tot, wenn dieses Buch seine Leser erreicht. Vielleicht weil Eric tatsächlich irgendwo eifernd sein Leben weggeworfen hat, um mit einer Bombe Menschen in den Tod zu reißen. Dann wissen wir, dass wir wirklich Angst vor ihm haben mussten. Oder er bleibt verschwunden, irgendwo versackt im Elend des Fundamentalismus. Oder er kehrt zurück nach Neunkirchen, guckt, ob jemand daheim ist, und versucht, doch noch Industriekaufmann zu werden.
Nichts ist unmöglich in der erstaunlichen Welt, die von Innenpolitikern als deutsche Terrorszene bezeichnet wird - obgleich doch niemand, der dazu gerechnet wird, in Deutschland Schaden angerichtet hat. Auf 5100 Personen, so erklärte in dem Jahr, als Eric verschwand, der hessische Innenminister, werde allein in
seinem Bundesland die Zahl der Islamisten geschätzt. Der größte Teil davon sei in Gruppen organisiert, die »nicht gewaltbereit sind«, das mache »sie aber nicht ungefährlicher«. Die gefährlichsten der Gefährlichen werden bundesweit vom BKA und weltweit von Geheimdienstlern verfolgt. Auf einer schwarzen Liste führt das Bundeskriminalamt diese als »Gefährder« mit Namen und Heimatanschrift: 68 Personen waren es nach einer amtlichen Auskunft beispielsweise im April 2007.
Das sind Personen, vor denen man nach übereinstimmender Ansicht der Länderinnenminister und des Bundesinnenministers Angst haben muss wie vor Eric Breininger. Bei den meisten weiß man, anders als bei Breininger, wo sie sind. Jeden Tag könnten sie in Deutschland oder an einem anderen Punkt der Welt umstellt, notfalls mit Waffengewalt festgenommen und an ihrem terroristischen Tun gehindert werden. Werden sie aber nicht - weil rechtlich nichts gegen sie vorliegt.
Die Welt vor Leuten zu
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