Der globale Polizeistaat
schützen, die nichts getan haben, lediglich vielleicht etwas tun werden, von dem man nicht mal weiß, was es sein könnte: Das ist die Herausforderung des Terrorismus an den Rechtsstaat. Innenpolitiker, Juristen, Terrorismusexperten sind auch in Deutschland dabei, dieser Herausforderung mit einem grundsätzlichen Umbau der Rechtsordnung zu begegnen. Schritt für Schritt unterziehen sie das Recht der Inneren Sicherheit einem Paradigmenwechsel, dessen Konsequenzen noch gar nicht abzusehen sind. Rasterfahndung, Lauschangriff, Computerdurchsuchung: Im Lärm der Aufregung, die sich seit dem 11. September 2001 jedes Mal in der Presse breitmacht, wenn der verantwortliche Innenminister eine neue Generation von Instrumenten der Terrorfahndung vom Parlament absegnen lässt, geht die wirkliche Bedrohung des Rechtsstaates leicht unter. Denn es gibt nur wenige Instrumente staatlichen Eingriffs in Bürgerfreiheiten, die als solche inakzeptabel sind. Die Folter gehört dazu, der Lauschangriff sicher nicht. Entscheidend für die Beurteilung von Polizeimaßnahmen der Terrorabwehr ist stets, unter welchen gesetzlichen Voraussetzungen sie erlaubt werden und
wie genau die formuliert sind. Nicht wenn es morgens um fünf an der Tür klingelt, schrieb der Dichter Bertolt Brecht, sei der Mensch beunruhigt, sondern wenn er nicht sicher sein könne, ob es wirklich nur der Milchmann ist.
In Deutschland kann schon heute niemand mehr sicher sein, wer klingelt. »Man kann«, so die Einschätzung des ehemaligen Verfassungsrichters und Staatsrechtsprofessors Dieter Grimm, »völlig ohne eigenes Zutun in die Fänge des Staates geraten«. Niemand kann zuverlässig sagen, ob sein Telefon abgehört, seine E-mails mitgelesen werden. Auf die Frage, wann solche Eingriffe zulässig sind, ist die klare Auskunft des Hamburger Polizeirechtsexperten und Exbundesverfassungsrichters Jürgen Kühling: »Praktisch immer.«
Nicht die Maßnahmen der Terrorfahndung sind das Problem, sondern ihre gesetzlichen Voraussetzungen. Die rechtlichen Bedingungen für polizeiliches Handeln sind im Staat mit dem ältesten Polizeirecht der Welt unsicher geworden - wenn nicht ganz verschwunden. Die bedingungslose Anwendung von Staatsgewalt: Das ist das amerikanische Vorbild. Doch die Abwendung vom Rechtsstaat geschieht in Deutschland nicht nach der vergleichsweise plumpen Methode des US-Rechtsberaters John Yoo, der die umfassenden Wartime Power des Präsidenten zur Polizeigewalt umdeutete. In Deutschland geschieht dies alles viel subtiler. Man muss genau hinschauen, um es zu erkennen.
Das deutsche Recht der Inneren Sicherheit hat seine Verankerung in der Wirklichkeit ganz allmählich gelöst. Diese Verankerung ist herkömmlich am deutlichsten im Strafrecht: Es ist, so drücken es Strafrechtswissenschaftler aus, »Tatstrafrecht«. Das heißt, es muss ein Unrecht geschehen sein, bevor die Kripo kommt, bevor das scharfe Instrumentarium der Strafprozessordnung angewendet werden darf. »Repressiv«, als Reaktion auf etwas Geschehenes, so heißt es, wirke der Strafprozess. »Präventiv« sei hingegen das Polizeirecht, das die Sicherheitskräfte zum Handeln ermächtigt, bevor etwas geschehen ist. Doch »präventiv« im klassischen Sinn des deutschen Polizeirechts hat eine
andere Bedeutung als die heute gern bei der »präventiven« Verbrechensbekämpfung verwendete. Das präventive Polizeihandeln setzt herkömmlich ebenfalls voraus, dass etwas Reales geschehen ist: Eine »Gefahr« muss vorliegen, eine Gefahr aber setzt eine Gefahrenprognose voraus, und diese wiederum ein reales Set von Ereignissen, das diese Gefahrenprognose rechtfertigt. 6 Für Maßnahmen der Gefahrenabwehr wie für Maßnahmen der Strafverfolgung gilt also gleichermaßen herkömmlich: Es muss bereits etwas passiert sein, etwas, das eine »Gefahr« begründet, oder den »Verdacht« einer Straftat - einen »Verdacht« der manchmal auch die traurige Gewissheit einer Straftat sein kann. Verdacht und Gefahr sind jeweils tatsachengestützte Einschätzungen eines (meist) nicht unmittelbar erkennbaren Unheils. Der Unterschied liegt nur darin, dass das Gefahrenurteil eine Prognose in die Zukunft verlangt, das Verdachtsurteil hingegen, wie manche Strafrechtler sagen, eine Prognose in die Vergangenheit - nämlich auf den Zeitpunkt der Tat.
Gefahr und Verdacht gelten als Eckpunkte und Prüfsteine eines rechtstaatlichen polizeilichen Vorgehens, weil sie diese Tatsachengrundlage haben, die Voraussetzung objektiver Umstände, die
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