Der globale Polizeistaat
vor jedem Gericht mit Zeugen oder Urkunden beweisbar und darum überprüfbar sind. Doch genau diese Verankerung in der Realität ist es, die es dem herkömmlichen Polizei- und Strafrecht so schwer macht, der Herausforderung des Terrorismus entgegenzutreten. Das zeigte sich nach dem 11. September sehr schnell. Eine ganze Reihe von Gerichtsurteilen, die sich mit der Rechtmäßigkeit von Ermittlungen im Trubel der ersten Aufregung in Deutschland, inmitten der Angst vor einem weiteren Attentat zu beschäftigen hatten, gibt einen Eindruck, dass nicht nur die Juristen, sondern auch die Gesetze, die sie anzuwenden hatten, völlig überfordert waren.
So war es, als die Polizei in Rheinland-Pfalz, wie in den meisten anderen Bundesländern, gleich nach den Anschlägen von New York und aufs Pentagon zum Mittel der Rasterfahndung griff, um durch den elektronischen Datenabgleich in Deutschland vermutete
Terrorzellen und Hintermänner von Al Kaida aufzuspüren. Das Oberverwaltungsgericht in Koblenz hatte nun, nachdem sich der Sturm gelegt hatte, zu klären, worüber wohl wenige ernsthaft nachgedacht hatten, als Ground Zero noch qualmte: Ob so ein sensibler Eingriff wie der massenhafte Abgleich von Daten unbeteiligter Bürger eigentlich rechtmäßig war. Die Richter zogen das Polizeigesetz von Rheinland-Pfalz zurate. Das bestimmte, wie es bislang guter Brauch war, Rasterfahndung sei erlaubt unter der Bedingung, dass eine konkrete Gefahr vorliegt. Die Richter prüften und subsumierten heftig: Bestand nach dem 11. September die Gefahr eines Terroranschlages? Auf den ersten Blick möchte man sagen: Na klar. Beim zweiten allerdings kommen Bedenken: Wieso? Welche realen Hinweise gibt es, dass in Rheinland-Pfalz oder in Deutschland ein konkret prognostizierbares Attentat bevorsteht? Der einzige Hinweis liegt darin, dass gerade ein Attentat in New York und eins aufs Pentagon stattgefunden hat. Doch es bedarf hier keiner logischen Anstrengungen, um dies als Hinweis zurückzuweisen. Es gibt vielmehr gute Gründe für die Annahme, dass Attentate an so unterschiedlichen Orten nicht unmittelbar hintereinander geschehen.
Die Konsequenz: Die Rasterfahndung hätte unterbleiben müssen. Diese Konsequenz wollte das Gericht ersichtlich nicht ziehen, und sie wäre bei Nichtjuristen wohl auch auf Unmut gestoßen. Also machten die Richter sich daran, rechtlich zu begründen, was gefühlsmäßig richtig war: Es habe hinreichende Anhaltspunkte für die Gefahrenprognose gegeben. Die Anhaltspunkte lägen darin, dass vorangegangene Anschläge 1998 in Nairobi und 2000 in Aden ebenso wie der Anschlag von 11. September ohne jeden vorherigen Anhaltspunkt geschehen seien. Daraus folge, dass terroristische Anschläge überraschend und »jederzeit zu erwarten« seien. Ob diese Befürchtung Deutschland treffe, sei egal, weil die Wurzeln des internationalen Terrorismus in Deutschland ebenso gut wie in jedem anderen Land liegen könnten. Ergebnis: Es bestand die konkrete gegenwärtige erhebliche Gefahr eines Terroranschlages.
Das Urteil 7 geht von einer zutreffenden und von niemandem bestrittenen Einschätzung der Sicherheitslage in der Welt aus, sie galt 2001 ebenso wie 2008. Doch was macht man, wenn der einzige Anhaltspunkt ist, dass es keine Anhaltspunkte gibt? Soll die Pfälzer Polizei tatsächlich dazu da sein, die Sicherheit auf der ganzen Welt zu gewährleisten? Und zwar auf Dauer? Lässt sich wirklich, aus Koblenzer Sicht, eine interkontinentale dauernde Gefahr annehmen, die konkret zu jedem Zeitpunkt und an jedem Ort der Welt besteht und also zu bekämpfen ist? Es mag ja sein, dass der amerikanische Präsident das so sieht, aber ist der Innenminister in Mainz damit nicht etwas überfordert? Und wozu brauchen wir, wenn dauernd weltweit Gefahralarm herrscht, überhaupt noch das komplizierte Regularium eines Polizeigesetzes? Wozu noch Juristen, wozu noch Richter des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz? Ein so verstandenes Recht ist nicht mehr in der Lage, Verwaltungshandeln zu steuern, es ist durchgebranntes Recht, um nicht zu sagen, durchgeknalltes.
Das Urteil zeigt drastisch die Zwickmühle des kleinteilig oder national organisierten Rechtsstaats: Legen wir das Polizeirecht eng aus, kommen wir zu unbefriedigenden Ermittlungshemmnissen. Legen wir es weit aus, erleben wir absurde Weiterungen.
Auch so strenge Rechtsstaatswahrer wie der ehemals fürs Polizeirecht zuständige Verfassungsrichter Wolfgang Hoffmann-Riem sehen das Problem: »Ist das Risiko
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