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Der Glöckner von Nôtre Dame - Hugo, V: Glöckner von Nôtre Dame

Der Glöckner von Nôtre Dame - Hugo, V: Glöckner von Nôtre Dame

Titel: Der Glöckner von Nôtre Dame - Hugo, V: Glöckner von Nôtre Dame Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Victor Hugo , Pößneck GGP Media GmbH
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hinter ihm stand sein alter Freud, sein alter Lehrer, der Archidiakonus.
    Er wurde verlegen; schon lange hatte er den Archidiakonus nicht gesprochen, und Dom Claude war einer der feierlichen und leidenschaftlichen Menschen, deren Bewegung das Gleichgewicht eines skeptischen Philosophen stets zu stören pflegt. Der Archidiakonus schwieg einige Augenblicke, so daß Gringoire ihn mit Muße betrachten konnte. Er fand Dom Claude sehr verändert, blaß wie einen Wintermorgen, mit hohlen Augen und fast grauen Haaren. Endlich brach der Priester das Schweigen mit der Frage in ruhigem, aber eisigem Tone: „Wie geht’s Euch, Meister Peter?“ – „Ihr fragt nach meiner Gesundheit? I nun, man kann dies und jenes davon sagen. Im ganzen ist sie gut. Ich überlade mich niemals. Ihr wißt, Meister, das Geheimnis, sich gut zu befinden nach Hippokrates id est: cibi, potus, somni, venus, omnia moderata sint.“* – „Ihr habt also keine Sorgen?“ fragte der Archidiakonus, indem er Gringoire mit festem Blick betrachtete. – „Wahrhaftig nein.“ – „Was treibt Ihr denn?“ – „Wie Ihr seht, Meister, erforsche ich den Schnitt der Steine und die Art, wie dies Basrelief gehauen ist.“

    *Lateinisch: Es ist dies: Speise, Trank, Schlaf, Liebe, alles mit Maß!
    Der Priester lächelte bitter, indem er nur einen Mundwinkel in die Höhe schob. – „Daran findet Ihr Vergnügen?“ – „Mir ist dies das Paradies“, antwortete Gringoire. Dann legte er sich über die Skulpturen mit der verzückten Miene eines Naturforschers hin, der ein Phänomen des Lebens erklärt. „Findet Ihr nicht, daß dieser Übergang in kaum erhabener Arbeit mit viel Zartheit, Gewandtheit und Geduld ausgeführt ist? Seht dies Säulchen, an welchem Kapitäl kann man zarteres und vom Meißel gleichsam geliebkostes Laub erblicken? Seht die drei Hautreliefs von Jean Maillevin. Es sind die schönsten Werke dieses großen Meisters. Die Naivität, die Sanftmut der Gesichter, die Heiterkeit der Stellungen und Draperien, die unaussprechliche Anmut, welche mit den Fehlern gemischt ist, macht aus den Figuren sehr heitere und zarte Gestalten, vielleicht in nur zu hohem Grade. – Findet Ihr dies nicht sehr unterhaltend?“
    „Allerdings“, antwortete der Priester.
    „Säht Ihr nur das Innere der Kirche“, fuhr der Dichter in schwatzhafter Begeisterung fort. „Überall sind Skulpturen. Es ist belaubt wie ein Kohlkopf. Besonders zeigt die obere Ausschmückung einen so frommen und eigentümlichen Stil, wie ich sonst noch nie gesehen habe.“
    Dom Claude begann aufs neue: „Ihr seid also glücklich?“ – Gringoire erwiderte mit Feuer: „Auf Ehre, ja! Zuerst liebte ich Frauen, dann Tiere; jetzt liebe ich Steine. Sie sind ebenso unterhaltend wie Tiere und Frauen, aber nicht so treulos.“
    Der Priester legte die Hand auf die Stirn. Es war seine gewöhnlichste Bewegung; dann sprach er: „Wahrhaftig, Ihr habt recht!“
    „Ja“, sagte Gringoire, „welch ein Genuß!“ Er nahm den Priester, der sich fortziehen ließ, beim Arm und führte ihn in das Türmchen der Treppe vom For-l’Evèque. – „Seht diese Treppe! So oft ich sie sehe, fühle ich mich glücklich. Wie einfach und seltener Art sind die Stufen, unten sämtlich ausgetreten! Ihre Schönheit und Einfachheit besteht in ihren Beinen von ungefähr einem Fuß, die ineinander gefügt, geschachtelt und geschnitten, auf wahrhaft feste und zierliche Weise ineinandergreifen.“ – „Ihr wünscht nichts mehr?“ – „Nein.“ – „Ihr bedauert nichts?“ – „Ich fühle weder Bedauern noch Wünsche. Ich habe mein Leben mir geordnet.“ – „Was der Mensch ordnet, verwirren die Dinge.“ – „Ich bin ein skeptischer Philosoph und halte alles im Gleichgewicht.“ – „Wie erwerbt Ihr Euren Unterhalt?“ – „Bisweilen dichte ich Epopöen und Tragödien; die Industrie aber, Meister, die Ihr kennt, bringt mir am meisten ein; ich trage eine Stuhlpyramide mit den Zähnen.“
    „Das Handwerk ist grob und nicht philosophisch.“ – „Eine Folge des Gleichgewichts. Einen Hauptgedanken findet man überall wieder. Das weiß ich.“
    Nach einer Pause sprach der Priester: „Ihr seid aber doch in einem elenden Zustande.“ – „Jawohl; aber in keinem unglücklichen.“
    In dem Augenblick erschallten Huftritte, und unsere beiden sich unterredenden Gesellen sahen am Ende der Straße eine Kompanie der Armbrustschützen von der Ordonnanz des Königs, mit hochgetragenen Lanzen und dem Offizier an der Spitze,

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