Der Glucksbringer
etwas auf die hohe Kante gelegt. Sie konnten wahrhaftig nicht klagen.
Umso mehr bestürzte es ihn, seine Frau so kreuzunglücklich zu sehen. Schöne Erinnerungen hin oder her – einer musste einen kühlen Kopf behalten, immerhin handelte es sich bloß um eine Brosche. Natürlich hatte ihm das Schmuckstück an der Kleidung seiner Frau gefallen, aber deshalb musste er doch jetzt nicht Trübsal blasen, oder? Er stand vom Bett auf, klopfte sich ein paar Flusen von der dunklen Hose, die der neue Bettüberwurf aus weichem Chenillegarn dort hinterlassen hatte. Er tätschelte Corinne die Schulter und meinte begütigend: »Was hältst du davon, wenn ich dir eine
Tasse heißen Kakao mache? Dann fühlst du dich bestimmt gleich besser.«
Der Regen rann in wahren Sturzbächen über das schmale Fenster, hüllte die Dämmerung in ein verwaschenes Grau. Jennifer zog den Vorhang zurück, blickte auf die Straße und verfolgte, wie die Wassermassen durch den Rinnstein gurgelten, Blätter, abgerissene Zweige, Papierschnipsel und anderen Unrat vor sich her schoben. Bei dem plötzlich einsetzenden Unwetter musste sie automatisch an den Bindi Creek denken, der sich durch das Anwesen ihrer Tante und ihres Onkels in Carcoar schlängelte. Die meiste Zeit des Jahres war das Flussbett staubtrocken, sobald die Regenzeit begann, entpuppte sich der Strom jedoch als ein reißendes Ungeheuer. Während sie die Passanten beobachtete, die unter ihr auf der Straße mit langen Schritten riesige Pfützen umrundeten und den Automobilen auswichen, deren schmale Reifen wahre Fontänen hochspritzten, fasste sie einen Entschluss. Wenn es so weiterregnete, würden sie keine zehn Pferde vor die Tür bringen. Dann würde sie eben nicht ausgehen und den Rote-Kreuz-Ball in der Sydney Town Hall sausen lassen. Blöderweise war sie dort mit Peggy verabredet, und die wäre ihr dann ernsthaft böse. Das konnte sie ihrer besten Freundin wirklich nicht antun. Schöner Mist, somit steckte sie in einer moralischen Zwickmühle.
Sie spähte zum Kleiderschrank. An der geöffneten Tür hing der Bügel mit dem schmal geschnittenen Cocktailkleid aus taubengrauer Seide. Winzige Perlen säumten den tiefen Ausschnitt und die schmalen Träger; modisch schick, aber nicht zu auffällig. Sie war zwar geschickt im Umgang mit Nadel und Nähmaschine und schneiderte
sich ihre Sachen oft selbst, aber dieses Kleid hatte sie extra für die Tanzveranstaltung gekauft. Obwohl um einiges reduziert, hatte sie ein kleines Vermögen, nämlich fast ihren gesamten Wochenverdienst, dafür hinblättern müssen. Jennifer vergegenwärtigte sich wieder einmal seufzend, dass sie jeden Cent umdrehen musste. Wenn sie Miete und Lebensmittel von dem Mini-Gehalt abzog, das sie als Verkäuferin bei David Jones verdiente, blieb für Luxus und Extras nicht mehr viel übrig.
Obwohl es bestimmt unangenehmere Jobs gab, bedauerte sie es bisweilen, dass sie in einem Kaufhaus arbeiten musste. Eigentlich hätte sie sich viel lieber für die weiblichen Hilfstruppen anwerben lassen. Unseligerweise hatte der Militärarzt ihre Bewerbung abgelehnt, weil sie als Kind häufiger Bronchitis gehabt hatte. Er bezweifelte, dass sie die schwere körperliche Arbeit durchhalten würde. Hinzu kam, dass das Betriebsklima bei DJ gelegentlich nervte. Einer tuschelte über den anderen, es wurde nach oben gekatzbuckelt und nach unten getreten, alle klagten über die schlechte Bezahlung. Dass Peggy Walsh auch dort arbeitete, machte es wenigstens halbwegs erträglich. Peggy hatte ihr den Job besorgt und sich darum gekümmert, dass sie ein Zimmer in dem Mietshaus bekam, in dem sie selbst auch wohnte. In den vergangenen Monaten waren sie weltallerbeste Freundinnen geworden.
Jennifer war es mächtig an die Nieren gegangen, als sie aus dem kleinen Haus an der Raglan Street in Redfern hatte ausziehen müssen. Sie war dort aufgewachsen und kannte die meisten Nachbarn. Aber nachdem ihr Vater in Nordafrika gefallen war und der monatliche Scheck für die Miete ausblieb, wusste sie keine
andere Lösung. Natürlich war sie nicht die Einzige, die schwer gebeutelt wurde. Überall litten die Menschen unter den Auswirkungen des Krieges, der seit mittlerweile fünf langen Jahren tobte. Im Zuge dessen hatte die Regierung drastische Maßnahmen ergriffen und so ziemlich alles rationiert: Lebensmittel, Kleidung, Brenn- und Baustoffe. Das machte das Leben nicht einfacher.
Ihre Mutter war gestorben, als Jennifer fünf Jahre alt gewesen war. Und ohne ihren
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