Der Glucksbringer
Freundin legte. Wenn Jenny Smith sich etwas in den Kopf gesetzt hatte, konnte man mit Engelszungen auf sie einreden und biss trotzdem auf Granit.
»Jaaa.«
»Okay, versprich mir wenigstens, nochmal darüber nachzudenken. Hast du großartige Alternativen? Nein. Überleg mal in aller Ruhe, was das Beste für dein Kind ist.« Sie warf einen Blick auf ihre Armbanduhr. »Huch! Wir müssen schleunigst wieder in die Abteilung zurück. Wenn Cotter uns dabei erwischt, wie wir quietschvergnügt die Pause verlängern, gibt es wieder Ärger.«
Jenny folgte ihr durch den Gang und in den ersten Stock, wo sie beide arbeiteten. Insgeheim machte sie sich bittere Vorwürfe. Sie hatte die Sache viel zu lange vor sich her geschoben und die Augen vor der Realität verschlossen. Wenn sie sich nicht schleunigst etwas einfallen ließe, grübelte die junge Frau, könnte es verflixt eng werden. Die Zeit lief ihr davon, und es führte kein Weg daran vorbei, dass sie sich mit dem Problem auseinandersetzte. Sie musste eine Lösung finden, wie es in Zukunft weitergehen sollte. Während sie in der Kantine mit Peggy plauderte, hatte vor ihrem inneren Auge ein
Plan Gestalt angenommen. Der könnte eventuell funktionieren... nein, es musste einfach klappen.
Die hochschwangere Jenny schleppte einen Blecheimer mit Küchenabfällen in den Hinterhof. Und verfolgte kopfschüttelnd grinsend, wie die Hennen sich auf ihre morgendliche Futterration stürzten. Sie wohnte jetzt seit über vier Monaten bei ihrer Tante und ihrem Onkel – für ein Stadtkind wie sie war das Landleben eine völlig andere Welt. In der Stadt nahm man vieles für selbstverständlich. Man ging in den nächstbesten Laden und kaufte, was man brauchte, einmal abgesehen von den Einschränkungen, die der Krieg für die Bewohner mit sich brachte. Um auf dem Land überleben zu können, musste man genügsam und erfinderisch sein, denn das nächste Geschäft war nicht mal eben um die Ecke, sondern kilometerweit entfernt.
Die Hennen lieferten Eier, Tante Elsie hatte ihr das Melken beigebracht, es gab einen großen Gemüsegarten und einen Baumhof mit Orangen-, Zitronen- und Pflaumenbäumen. Brauchten sie Fleisch, schlachtete Onkel Ken ein Schaf oder ein Kalb und zerlegte es fachmännisch. Zuweilen auch ein Huhn – obwohl Jenny davor grauste, ihnen die Hälse umzudrehen und die Federn zu rupfen, wie ihre Tante es ihr vormachte. Um ihren guten Willen zu zeigen, hatte sie es wieder und wieder probiert, mit dem Ergebnis, dass ihr jedes Mal grottenschlecht geworden war. Ihre Tante, eine unermüdliche Köchin, wieselte ständig um den alten, mit Holz befeuerten Eisenherd herum und zauberte irgendwelche Köstlichkeiten: selbst gebackenes Brot, Kuchen, Plätzchen. Oder sie weckte ein: Obst, je nach Saison, als Saft, Kompott, Mus, Marmelade, oder Gemüse süßsauer
oder salzig eingelegt, alles in Flaschen und Gläsern fein säuberlich auf der hinteren Veranda bevorratet. Jenny bewunderte die beiden für ihre Bescheidenheit und die pragmatische Haltung, mit der sie das Leben in dieser gottvergessenen Gegend meisterten.
Sie richtete sich auf, stemmte eine Hand in den Rücken, der angesichts der fortgeschrittenen Schwangerschaft unangenehm schmerzte. Nach Dr. Reynolds’ Diagnose konnte es bis zur Niederkunft nur noch wenige Wochen dauern. Ein Glück, dachte sie, allmählich hatte sie diesen Zustand nämlich restlos satt. Sie sah aus wie eine wandelnde Tonne und fühlte sich auch so ähnlich, nachts konnte sie nicht mehr bequem liegen und schlief daher schlecht. Seit sie in Carcoar wohnte, hatte sie viel nachgedacht, was sie nach der Geburt ihres Babys tun wollte. Und sich entschlossen, auf der Farm zu bleiben, wo ihr Kind in der Obhut seiner einzigen Verwandten behütet aufwachsen würde. Sie wollte weiterhin im Haushalt helfen, lernen, wie man Schafe züchtete, oder sich etwas dazuverdienen, indem sie Kleidung schneiderte. Das machte sie gern und gut, und sie war perfekt im Umgang mit der Nähmaschine ihrer Tante.
Bereute sie ihre Entscheidung? Ja und nein. Mike fehlte ihr unbeschreiblich, und sie dachte jeden Tag an ihn, trotzdem machte sie sich keine Illusionen. Weil sie weder verwandt noch verheiratet waren, erfuhr sie nicht einmal, in welchem Lager er gefangen gehalten wurde oder ob er verwundet worden war. Folglich entschied sie für sich, dass es sinnvoller und besser war, wenn sie ihn vergaß. Obwohl sie ernsthaft daran zweifelte, dass sie dies jemals schaffen würde.
Tantchen Elsie kam
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