Der Glucksbringer
nickte.
Im Haus in der Lang Road am Centennial Park war alles ruhig, Linda war allein. Sie hatte eine Zeit lang wahllos durch die Fernsehprogramme gezappt und war dann barfuß in die Küche getappt. Hatte sich ein Glas Milch und ein paar Kräcker geholt und war damit in ihr Zimmer gegangen, wo sie eine Platte mit Rock-’n’-Roll-Hits aus den Fünfzigern auflegte. Sie war zwar nicht richtig müde, hatte aber auch keine Lust, ihre Nase in ein Buch zu stecken und für ihr Studium zu lernen. Um sich irgendwie zu beschäftigen, räumte sie ihre ringsum verstreuten Kleider und Schuhe weg – da es mit ihrer Ordnungsliebe nicht weit her war, würde sie damit wenigstens anerkennendes Lob von ihrer Mutter ernten.
Tony war jetzt fast drei Monate weg. Seitdem hatte sie es mit allen möglichen Ablenkungen probiert, um nicht mehr an ihn denken zu müssen. Sie ließ keine Party aus, hatte gelegentliche Dates, verabredete sich mit ihren Freundinnen, trotzdem konnte sie ihn nicht vergessen, so sehr sie sich auch bemühte. Er war fest in ihrem Herzen eingraviert.
Um sich auf andere Gedanken zu bringen, schnappte sie sich das Telefon und wählte Alisons Nummer. Niemand nahm ab. Dann versuchte sie es bei Kate und aus lauter Verzweiflung schließlich bei Harriet Meares. Wo steckten sie nur alle? Wieder mal auf irgendeiner Party? Aber doch bestimmt nicht wochentags, oder? Schließlich fiel ihr ein, dass für den Abend ein Vortrag über Modedesign und Marketing im Audimax angekündigt war. Wahrscheinlich waren ihre Freundinnen dort.
Sie selbst hatte sich nicht aufraffen können hinzugehen.
Linda setzte sich auf den Rand ihres Betts, gähnte und verputzte die restlichen Kräcker. Dann ließ sie sich zurücksinken, schloss die Augen und bedeckte sie mit einem Arm, weil das Licht von der Deckenbeleuchtung sie blendete. Sie döste ein und träumte von dem beschwingten Kostümball und von Tonys Eifersuchtsszene. Nach einer Weile liefen in ihrem Traum andere Bilder ab, eine beklemmende Wiederholung jenes Abends, an dem er ihr den Antrag gemacht hatte. Und, als wenn das nicht gereicht hätte, untermalt von ihren und Tonys Eltern, die mit Engelszungen auf sie einredeten, Ja zu sagen. Schweißgebadet schrak sie aus diesem Albtraum hoch. Sie musste an die Topasbrosche denken und an die hanebüchene Geschichte, die ihre Mutter ihr aufgetischt hatte.
Nach Lindas Meinung war das alles ein ziemlicher Haufen Mist. Wer glaubte denn im aufgeklärten zwanzigsten Jahrhundert noch an Hexerei und solchen Hokuspokus? Wie um ihre eigene Einschätzung zu bestätigen, beschloss sie, sich die Brosche noch mal genauer anzuschauen.
Sie lief in das Schlafzimmer ihrer Eltern, ging zum Frisiertisch und klappte den Deckel der Schmuckschatulle auf. Hob den Einsatz heraus und öffnete das kleine blaue Samtkästchen mit der hübschen, altmodisch anmutenden Brosche. Je länger sie das Stück jedoch betrachtete, desto faszinierter war sie davon. Ihr Großvater hatte ein kleines Kunstwerk geschaffen, räumte sie insgeheim ein. Der lupenreine Topas war von ausgesuchter Qualität und Schönheit. Und das war längst nicht alles. Obwohl sich ihre Vernunft dagegen sträubte,
die Geschichte zu glauben, die sich laut ihrer Mutter um den funkelnden Stein rankte, ertappte Linda sich dabei, dass sie ihn geradezu ehrfürchtig bestaunte.
Neugierig geworden, hob sie die Brosche aus dem Futteral und wog sie in ihrer Handfläche. Begutachtete sie eine lange Weile. Es war bloß eine Brosche. Zweifellos sorgfältig gearbeitet, hatte sie für ihre Eltern gewiss sentimentalen Erinnerungswert, wie zuvor für ihre verstorbenen Großeltern. Aber mystische Kräfte? Bestimmt nicht. So etwas gab es in Tolkiens Herr der Ringe oder bei König Artus, in Sagen und Legenden, aber nicht im wirklichen Leben.
Unterbewusst streichelte sie mit ihrem Zeigefinger über die Brosche, fühlte die filigrane Silberarbeit und die kühle Oberfläche des geschliffenen Edelsteins. Die antike Formgebung inspirierte sie zu eigenen Entwürfen. Sie nahm die Brosche mit in ihr Zimmer, kramte ihren Zeichenblock hervor und begann mit einer Reihe von Skizzen.
Sie hatte den Topas schon einmal gezeichnet. Aber dieses Mal verbrachte sie geschlagene zwei Stunden damit, unterschiedliche Variationen des Schmuckstücks auf dem Papier zu verewigen. Bis sie ein komplettes Set entworfen hatte: Ohrringe, ein Armband, einen Anhänger, einen Ring und ein Collier mit Topassteinen in verschiedenen Größen. Schließlich,
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