Der Glucksbringer
zufrieden mit ihren Kreationen, legte sie den Stift weg und betrachtete abermals die Brosche. »Danke«, flüsterte sie und fragte sich insgeheim, ob sie noch richtig tickte. Nachdem sie das gute Stück in Jennys Schmuckschatulle verstaut hatte, kehrte sie in ihr Zimmer zurück. Sie schob die Entwürfe in ihre Mappe, dabei fiel ihr Blick automatisch auf das erste, kürzlich von ihr angefertigte Skizzenblatt
der Brosche: detailgenau, wenn auch nichts Umwerfendes. Plötzlich kam ihr ein Prospekt in den Sinn, der an der Uni verteilt worden war. Irgendwas mit internationalem Schmuckwettbewerb, exklusiv für junge Designer. Er steckte bestimmt noch in ihrer Umhängetasche, in der sie auch ihre Vorlesungsmitschriften aufbewahrte. Sie gähnte unbekümmert und verschränkte die Arme hinter dem Kopf. Sie würde sich den Flyer morgen vorknöpfen. Mal sehen, ob sich die Teilnahme an dem Wettbewerb überhaupt lohnte.
Linda tippte darauf, dass ihr die Zeichnungen bei schonungslos hellem Tageslicht längst nicht mehr so gut gefallen würden wie am Abend vorher. Sie entpuppten sich jedoch selbst bei kritischer Betrachtung als brillant. Fehlte nur noch der Flyer. O Schreck, wo hatte sie den Prospekt bloß hingepackt? Sie durchwühlte ihre Tasche, verstreute wahllos Notizen und Bücher auf dem ungemachten Bett, bis sie endlich das Gesuchte fand. Während sie die Teilnahmebedingungen für den Wettbewerb las, huschte ein Lächeln über ihre Züge. Diese Skizzen waren absolut ideal dafür! Und wenn sie in die engere Auswahl käme, würde sie zur Endausscheidung nach Paris eingeladen. Das wäre einfach genial!
Das erste Mal, seitdem sie und Tony miteinander Schluss gemacht hatten, von Euphorie beflügelt, schnappte sie sich Skizzenblock und Prospekt und stürmte in die Küche, wo ihre Eltern beim Frühstück saßen.
»Mum, Dad, was haltet ihr davon, wenn ich an diesem Wettbewerb teilnehme?« Sie zeigte ihnen die Skizzen, die sie am Abend zuvor gemacht hatte.
»Sie sehen toll aus«, rief Mike begeistert. »Mach da ruhig mit, Liebes.«
»Und wenn du eine gute Platzierung schaffst, hilft dir das nach dem Examen bei der Jobsuche.« Jenny war nicht minder enthusiastisch als ihr Mann, vor allem jedoch war sie heilfroh, dass Linda endlich wieder an irgendetwas Interesse zeigte. Ihre Tochter strahlte vor Optimismus und war wie früher ein richtiges Energiebündel.
»Ich weiß, das hab ich mir auch schon überlegt. Und eine Parisreise – das wär doch mal was! Zudem findet die Endausscheidung erst im nächsten Jahr statt, und dann bin ich fertig mit der Uni.«
»Das schreit nach einem ganz besonderen Frühstück. Was möchtest du? Und sag jetzt bloß nicht wieder: nur trockenen Toast«, meinte Jenny aufgeräumt.
»Okay, bevor ich mich schlagen lasse, nehme ich Rührei auf Toast.« Linda grinste. »Ach ja, übrigens, ich esse heute Abend auswärts. Ich hab ein Date.«
»Mit Tom, diesem netten jungen Mann?«, mutmaßte Jenny.
»Nein, den hab ich in die Wüste geschickt.« Linda schnaubte verächtlich. »Gary Swift hat mich zum Essen eingeladen. Er studiert Drama an der Schauspielschule. Und ist wahnsinnig cool.«
»Oh.« Jenny, die sich weitere Fragen versagte, drehte sich stirnrunzelnd zum Herd und briet Rührei. Das waren verdammt viele junge Männer! Seit Tonys Abreise gaben sie sich die sprichwörtliche Klinke in die Hand. Was wollte ihre Tochter sich damit beweisen?, überlegte sie scharf. Dass sie über die Sache mit Tony locker hinweg war oder jeden Mann haben konnte, der ihr gefiel? Linda beteuerte fortwährend, dass sie nur »ein bisschen Spaß haben wollte«, weshalb sie gelegentlich ausging. Ihrer Mutter schien es jedoch so, als müsste Linda sich
unter allen Umständen selbst bestätigen, dass Tony nicht weiter wichtig gewesen war.
»Die Eier sind fertig«, rief Jenny ihrer Tochter nach, die mit ihrem Vater ins Wohnzimmr gegangen war. Was sollte sie sich großartig Sorgen um Linda machen? Sie hatte zwar eine schwere Zeit durchgemacht, aber sie war ein intelligentes Mädchen mit einem starken Selbsterhaltungstrieb und würde sich schon wieder fangen.
Die Musik in dem auf der zweiten Etage gelegenen Apartment in Bondi zerfetzte einem fast das Trommelfell, die Bude war verqualmt und so überfüllt mit Gästen, dass man kaum umfallen konnte. Das war bestimmt nicht die Art von Party, auf die Linda abfuhr, aber sie hatte Gary Swift blöderweise versprochen mitzukommen. Gary wiederum schien sich pudelwohl zu fühlen,
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