Der Glückliche schlägt keine Hunde: Ein Loriot Porträt (German Edition)
und schon wenig später erschien die erste DVD-Box mit seinen Sketch-Sendungen.
Die DVD sollte dann tatsächlich die letzte Technologie sein, auf die sich Loriot einließ. Es ist etwas Seltsames um den Moment, in dem ein alter Mann, der immer technikaffin war, es verweigert, sich mit einer neuen Technologie auseinanderzusetzen. Vicco war ein Mann des Telefons, des Faxes, der CD und der DVD. Computer, Internet und E-Mail waren ihm ein Buch mit sieben Siegeln. Ganz im Gegensatz zu seiner Frau Romi, die noch in fortgeschrittenem Alter lernte, mit dem Computer umzugehen, und die bis heute eine rege E-Mail-Korrespondenz führt.
Bezüglich der CD und der DVD kam es bei Vicco gelegentlich zu Verwechslungen. Da die Scheiben die identische Größe haben, konnte es schon mal vorkommen, dass eine DVD oder eine Foto-CD in seinem High-End-CD-Spieler landete – auf den er sehr stolz war, »weil es so etwas Gutes auch nicht mehr gibt«. Dann rief er mich an und fragte, warum sein Musikspieler so seltsame Geräusche von sich gibt.
Dass er sich auf die aktuelle Technik nicht mehr einließ, hieß nicht, dass er sie komplett ablehnte. 1999, er war 75, kam ich mit einem Taschencomputer zu ihm, auf dessen kleinem Bildschirm man mit einem Eingabestift zeichnen konnte. Neugierig – das war er zeit seines Lebens – nahm er den Stift zur Hand und zeichnete ein etwas krakeliges Nasenmännchen auf den Bildschirm. Das inzwischen veraltete Gerät mit der einzigen Computergrafik Loriots hüte ich bis heute.
An einem Sommernachmittag in Ammerland ist es mir dann gelungen, ihm endlich die Vorzüge des Internets nahezubringen, wenn auch auf ungewöhnliche Weise. Wir saßen beim Tee, da kam er auf »Robinson Crusoe« zu sprechen, der ihn in seiner Jugend, neben »Kürschners Konversations-Lexikon in einem Band«, wesentlich geprägt habe. Vicco behauptete, in dem Roman von Defoe komme eine Figur namens ›Donnerstag‹ vor. Ich korrigierte ihn: »Du meinst ›Freitag‹.« – »Nein, Donnerstag. Donnerstag ist der Vater von Freitag, und Robinson hat ihn so genannt, weil er vor Freitag da war.«
Der Donnerstag als Vater des Freitags, eine hübsche Idee, nur konnte ich mich nicht erinnern, von Freitags Vater jemals etwas gelesen zu haben. Nun hatte ich auf meinem Laptop eine Sammlung englischer und amerikanischer Literaturklassiker als E-Books abgespeichert. Stolz öffnete ich meinen Mac, rief »Robinson Crusoe« auf und ließ den Computer in Sekundenschnelle feststellen, dass das Wort »Thursday« nicht ein einziges Mal in »Robinson Crusoe« vorkommt.
Vicco fühlte sich herausgefordert. Er ging zu seinem Bücherregal, das eine reiche Sammlung alter Originalausgaben barg, und zog den Band »Robinson der Jüngere, zur angenehmen und nützlichen Unterhaltung für Kinder« von Joachim Heinrich Campe hervor. Es handelte sich um eine mit kolorierten Ludwig-Richter-Holzschnitten illustrierte Ausgabe von 1884. Ob Vicco schon als Kind dieses Exemplar in Händen hatte, weiß ich nicht, sicher ist, dass er »Robinson« seinerzeit nichtim Defoe’schen Original, sondern in der von Campe bearbeiteten Fassung für Kinder gelesen hatte.
Jetzt lag der Ball wieder bei mir. Ich suchte im Internet-Projekt Gutenberg nach »Campe«. Tatsächlich war Campes Robinson-Version dort vollständig vorhanden. Ich rief Kapitel für Kapitel auf und ließ meinen Computer den Text nach dem Wort »Donnerstag« durchforsten. Im 46. von 49 Kapiteln war ich endlich erfolgreich: » Diesem Alten gab Robinson aus dem Grunde, weil er doch eher, als sein Sohn gewesen wäre, den Nahmen Donnerstag; und so wollen wir ihn denn künftig auch nennen.«
Vicco jubilierte: »Ich wusste es!« Und er war voller Dankbarkeit und Bewunderung, dass das Internet dem über achtzig Jahre alten Mann die Unsicherheit über eine Kindheitserinnerung nehmen konnte.
Durch die Referenz der Online-Version konnten wir in dem antiquarischen Buch sogar die Stelle lokalisieren, wo in schönster Bleisatz-Fraktur Freitags Vater Donnerstag zum ersten Mal erwähnt wird. Eine Tasse Tee mit etwas Gebäck, ein moderner Computer mit Internetzugang und ein illustriertes Kinderbuch von 1884 in trauter Einigkeit …
Noch ein bisschen moderner wurde es dann an Viccos 83. Geburtstag in Berlin. Romi liebte es, ihrem Mann technische Gadgets zu schenken, und fragte mich, was denn wohl für ihn in Frage käme. Ich schlug einen iPod nano vor. Romi zog los und kaufte den iPod. Ich bot ihr an, das Minigerät mit Viccos
Weitere Kostenlose Bücher