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Der glückliche Tod

Der glückliche Tod

Titel: Der glückliche Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Albert Camus
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anderer. Alles das bewirkte, daß er Luciennes Hand lange in der seinen hielt, daß er sie häufig wiedersah, lange mit ihr im gleichen schweigenden Rhythmus spazierenging und daß sie beide, die gebräunten Gesichter zur Sonne oder zu den Sternen erhoben, zusammen badeten und ihre Bewegungen wie ihre Schritte aufeinander abstimmten, ohne etwas anderes auszutauschen als die, Anwesenheit ihrer Körper. Alles das war so bis gestern abend gegangen, wo Mersault ein zugleich vertrautes und bestürzendes Wunder auf den Lippen Luciennes wiedergefunden hatte. Bis dahin war das, was ihn bewegte, die Art gewesen, wie sie sich an ihre Kleider heftete, ihm folgte, während sie seinen Arm ergriff, die Hingegebenheit und das Vertrauen, die den Mann in ihm anrührten. Auch noch ihr Schweigen kam dazu, durch das sie sich ganz und gar mit der Gebärde des Augenblicks eins erklärte und das ihre Katzenähnlichkeit vollendete, der sie bereits den Ernst zu verdanken hatte, mit dem sie jede ihrer Handlungen vollzog. Gestern nach dem Abendessen war er mit ihr an den Quais entlanggegangen. Plötzlich waren sie am Geländer der Boulevards stehengeblieben, und Lucienne war ganz nahe an Mersault herangeglitten. Im Dunkeln hatte er unter seinen Händen ihre kalten vorspringenden Backenknochen und ihre heißen Lippen gespürt, in deren feuchter Wärme sein Finger sich verlor. Da war in ihm etwas aufgebrochen wie ein gewaltiger selbstloser Schrei. Angesichts der von Sternen berstenden Nacht und der Stadt, die wie ein umgekehrter Himmel unter dem warmen, tief eindringenden Hauch, der vom Hafen her zu seinem Gesicht aufstieg, von menschlichen Lichtern übersät war, hatte ihn ein Durst nach dieser warmen Quelle und der hemmungslose Wille erfaßt, auf diesen lebendigen Lippen den ganzen Sinn dieser unmenschlichen schlafenden Welt wie ein in ihrem Munde eingeschlossenes Schweigen zu erfassen. Er beugte sich zu ihr, und es war, als ob er seine Lippen auf ein Vögelchen drückte. Lucienne stöhnte. Er biß in ihre Lippen, und atmete ein paar Sekunden lang, Mund an Mund, diese Wärme ein, die ihn in eine Verzückung versetzte, als schließe er die Welt in seine Arme. Sie indessen hielt sich an ihm fest wie eine Ertrinkende, kam stoßweise aus dem großen schwarzen Abgrund, in den sie sich hineingestürzt hatte, wieder hervor, drängte dann jäh seine Lippen von sich fort und zog sie gleich wieder an sich, um alsbald in die eisigen schwarzen Fluten zurückzusinken, die sie verbrannten wie ein Volk von Göttern.
     
    ... Aber Eliane brach bereits auf. Ein langer Nachmittag der Stille und des Nachdenkens erwartete Mersault in seinem Zimmer. Beim Abendessen blieben alle stumm. Doch wie auf Verabredung ging man hinterher gemeinsam auf die Terrasse hinaus. Schließlich münden immer wieder die Tage in die Tage ein, vom Morgen über der Bucht, über der es von Nebel und Sonnenschein brodelt, bis zu der Milde des Abends über der gleichen Bucht. Der Tag erhebt sich über dem Meer und geht hinter den Hügeln unter, weil der Himmel nur den einen Weg weist, der vom Meer bis zu den Hügeln reicht. Die Welt sagt immer nur ein und dasselbe, weckt Interesse daran und ermüdet alsbald. Doch es kommt eine Zeit, wo sie durch stete Wiederholung siegt und den Lohn für ihr Beharren erntet. So gehen die Tage des Hauses vor der Welt, gleichsam eingestickt in den kostbaren Stoff des Lachens und der schlichten Gebärden, auf der Terrasse im Anblick der sternenbeladenen Nacht zu Ende. Man streckte sich in langen Stühlen aus, während Catherine auf der Stützmauer sitzen blieb.
     
    Am glühenden, geheimnisvollen Himmel strahlt das Antlitz der dunklen Nacht. Lichter gleiten in weiter Ferne im Hafen vorbei, und das Pfeifen der Züge wird seltener. Die Sterne werden größer und dann wieder kleiner, sie verschwinden und tauchen von neuem auf, bilden untereinander flüchtige Figuren und stellen sie mit anderen wieder her. In der herrschenden Stille gewinnt die Nacht ihre Dichte und Stofflichkeit zurück. Vom Gleiten der Sterne durchzogen, überläßt sie den Augen die Lichterspiele, die sich die Tränen darin schaffen. Und jeder findet, während er sich in die Tiefe des Himmels versenkt, an jenem äußersten Punkt, an dem alles zusammentrifft, den geheimen zärtlichen Gedanken wieder, aus dem die ganze Einsamkeit seines Lebens besteht.
     
    Catherine, die plötzlich von Liebe übermannt wird, kann nur noch seufzen. Patrice, der spürt, daß seine Stimme verändert klingt, fragt

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