Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der glückliche Tod

Der glückliche Tod

Titel: Der glückliche Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Albert Camus
Vom Netzwerk:
von der Küste unten heraufstiegen. Nur das Flugzeug schenkt dem Menschen eine noch spürbarere Einsamkeit als die, die er im Auto entdeckt. Ganz seiner eigenen Gegenwart bewußt und auch bewußt befriedigt über die Präzision seiner Bewegungen, konnte Mersault zugleich wieder an sich selbst denken wie auch an das, was ihn beschäftigte. Der Tag tat sich jetzt weit am Ende der Straße auf. Die Sonne erhob sich über dem Meer, und mit ihr erwachten auf beiden Seiten die eben noch verlassenen Felder mit Vogelgeschwirr und im Fluge rotschimmernden Insekten. Manchmal stapfte über eines der Felder ein Bauer dahin, von dem Mersault bei seiner hohen Geschwindigkeit nur die Silhouette eines mit einem Sack beladenen Mannes erkannte, der mit seinem ganzen Gewicht in die schwere, saftige Erde einsank. Wie es sein sollte, führte das Auto ihn wieder zu den Hügeln zurück, die das Meer beherrschten. Sie wurden größer, und ihre Umrisse, die sich bis eben nur schattenspielartig vor der Tageshelle abzeichneten, rückten schnell näher und wurden deutlicher in den Einzelheiten, so daß Mersault plötzlich klar ihre mit Olivenbäumen, Pinien und kalkbeworfenen Häuschen bedeckten Flanken vor sich sah. Dann führte jäh eine neue Kurve den Wagen auf das Meer zu, das, von der beginnenden Flut anschwellend, sich Mersault wie eine Opferschale voll Salz, rötlichen Tönen und Schlummer entgegenhob. Der Wagen glitt pfeifend auf der Straße entlang, anderen Hügeln und dem ewig gleichen Meer entgegen.
     
    Einen Monat zuvor hatte Mersault dem Haus vor der Welt seinen Aufbruch angezeigt. Er wollte zuerst einmal reisen und sich dann in der Nähe von Algier endgültig niederlassen. Ein paar Wochen darauf war er wieder zurückgekehrt, diesmal sicher, Reisen würde für ihn künftighin eine ihm fremde Lebensform sein: Ortsveränderung erschien ihm als ein Glück nur noch für rastlose Menschen. Außerdem stellte er bei sich ein dumpfes Gefühl der Ermüdung fest. Er hatte Eile, seinen Plan zu verwirklichen, nämlich ein Häuschen zwischen Meer und Gebirge zu kaufen, am Chenoua, ein paar Kilometer von den Ruinen von Tipasa entfernt. Bei seiner Ankunft in Algier hatte er sich den äußeren Rahmen für dieses Leben geschaffen. Er hatte erhebliche Vorräte an deutschen pharmazeutischen Produkten erworben, einen bezahlten Angestellten mit seinen Geschäften beauftragt und auf diese Weise seine zeitweilige Abwesenheit von Algier und sein unabhängiges Leben zu begründen gewußt. Die Geschäfte liefen übrigens nur schlecht und recht, doch glich er die Verluste ohne Reue aus, da er darin den Tribut sah, den er für seine vollkommene Freiheit entrichtete. Es genügt tatsächlich, der Welt ein Gesicht vorzuzeigen, das sie verstehen kann. Trägheit und Gleichgültigkeit bewirken das übrige. Unabhängigkeit läßt sich mit ein paar billigen, unter dem Siegel der Verschwiegenheit geäußerten Phrasen erringen. Mersault beschäftigte sich sodann mit der Lage Luciennes.
     
    Sie hatte keine Eltern mehr, lebte allein, war Sekretärin bei einer Kohlenfirma, ernährte sich von Früchten und trieb Gymnastik. Mersault lieh ihr Bücher. Sie gab sie ihm wortlos zurück. Auf seine Fragen antwortete sie: «Ja, das ist gut» oder: «Es ist ein bißchen traurig.» An dem Tage, an dem er Algier zu verlassen beschloß, schlug er ihr vor, sie solle mit ihm leben, jedoch auch weiterhin, ohne zu arbeiten, in Algier wohnen bleiben und nur zu ihm kommen, wenn er sie brauche. Er brachte die Sache so überzeugend vor, daß Lucienne nichts Demütigendes darin sah, und außerdem lag ja auch gar nichts Demütigendes darin. Lucienne nahm oft durch den Körper wahr, was ihr Geist nicht begreifen konnte. Sie willigte ein.
     
    «Wenn Sie Wert darauflegen», setzte Mersault hinzu, «kann ich Ihnen auch die Heirat versprechen, doch hat es meiner Meinung nach nicht viel Sinn.»
    «Ganz, wie Sie wollen», antwortete Lucienne.
     
    Eine Woche darauf heiratete er sie und rüstete sich zum Aufbruch. Lucienne kaufte sich inzwischen ein orangefarbenes Kanu, um auf das blaue Meer hinauszufahren.
    Mersault vermied es mit einer raschen Drehung des Lenkrads, eine Henne zu überfahren, eine Frühaufsteherin. Er dachte an sein Gespräch mit Catherine. Am Abend vor dem Aufbruch hatte er das Haus vor der Welt verlassen, um eine Nacht allein im Hotel zu verbringen.
     
    Es war am frühen Nachmittag, und da es am Morgen geregnet hatte, sah die ganze Bucht wie eine frischgeputzte Fensterscheibe

Weitere Kostenlose Bücher