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Der glückliche Tod

Der glückliche Tod

Titel: Der glückliche Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Albert Camus
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und der Himmel wie frisches Linnen aus. Genau gegenüber zeichnete sich am Ende der Bucht das Kap in wunderbarer Klarheit ab und streckte sich, von seinem Sonnenstrahl vergoldet, wie eine große, sommerliche Schlange bis ins Meer hinein. Patrice hatte gerade seine Koffer geschlossen und betrachtete jetzt, den Arm auf den Fensterriegel gestützt, mit gierigen Blicken diese Neuerschaffung der Welt.
     
    «Ich verstehe nicht, weshalb du fortgehst, wenn du hier glücklich bist», sagte Catherine.
    «Ich würde hier riskieren, geliebt zu werden, meine kleine Catherine, und das würde mich hindern, glücklich zu sein.»
     
    Auf dem Diwan zusammengerollt und mit etwas geneigtem Kopf sandte Catherine Patrice einen ihrer schönen Blicke ohne Tiefe zu. Ohne sich umzudrehen, fuhr er fort:
     
    «Viele Menschen komplizieren selbst ihre Existenz und erfinden sich Schicksale. Bei mir ist das alles ganz einfach. Sieh mal...»
     
    Er sprach mit dem Gesicht zur Welt, und Catherine fühlte sich vergessen. Sie beobachtete Mersaults lange Finger am Ende des über dem Fenstergriff ruhenden Unterarms, die Art, wie er den Körper auf der einen Hüfte ruhen ließ, und erriet auch, ohne ihn zu sehen, seinen ziellos schweifenden Blick.
     
    «Was ich möchte ...» fing sie an, doch dann schwieg sie und sah wieder zu Patrice hinüber.
     
    Kleine Segel begannen, die Windstille nutzend, auf das Meer zu gleiten. Sie gelangten in die Ausfahrt, erfüllten sie mit Flügelschlägen und nahmen plötzlich Kurs auf das offene Meer, eine Kielspur aus Luft und Wasser hinter sich lassend, die sich in schaumigem Gekräusel dehnte. Von ihrem Platz aus konnte Catherine sie, je weiter sie sich ins Meer vorschoben, rings um Patrice sich erheben sehen wie einen Flug weißer Vögel. Patrice schien ihr Schweigen und ihren Blick zu spüren. Er wendete sich um, ergriff ihre Hände und zog sie zu sich heran.
     
    «Gib niemals auf, Catherine. Du hast so vieles in dir und darunter das Edelste von allem, den Sinn für das Glück. Erwarte nur nicht die Erfüllung deines Lebens von einem Mann. Darin täuschen sich so viele Frauen. Erwarte sie nur von dir selbst.»
     
    «Ich beklage mich nicht, Mersault», sagte Catherine mit sanfter Stimme, während sie Patrice an der Schulter berührte.
     
    «Eine einzige Sache zählt in diesem Augenblick. Gib gut auf dich acht.»
     
    Da empfand er, wie wenig es war, worauf seine Sicherheit sich gründete. Er verspürte im Herzen eine seltsame Dürre.
     
    «Das hättest du jetzt nicht sagen dürfen.»
     
    Er nahm seinen Koffer und stieg erst die steile Treppe, dann den Weg, der von den einen Olivenbäumen zu den anderen führte, hinab. Nichts wartete mehr auf ihn als der Chenoua, ein Wald von Ruinen und Wermutstauden, eine Liebe ohne Hoffnung noch Verzweiflung samt der Erinnerung an ein Leben voll Essig und voll Blumen. Er wendete sich um. Von da oben her sah Catherine, ohne eine Bewegung zu machen, seinen Aufbruch mit an.
     
    Nach etwas weniger als zwei Stunden sah Mersault den Chenoua vor sich liegen. In diesem Augenblick verweilten noch die letzten Veilchentöne der Nacht auf den Hängen, die sich ins Meer hinuntersenkten, während der Gipfel von roten und gelben Schimmern leuchtete. Es sah aus, als stiege die Erde von den am Horizont sich abzeichnenden Hügeln des Sahel her kraftvoll und wuchtig an, um schließlich zu dem riesigen Rücken des muskulösen Tieres zu werden, das mit seiner gewaltigen Höhe ins Meer hinuntertauchte. Das Haus, das Mersault gekauft hatte, stand an einem der letzten Abhänge, etwa hundert Meter vom Meer entfernt, das schon golden in der Hitze schimmerte. Es hatte nur ein Stockwerk über dem Erdgeschoß, und dort nur ein einziges Zimmer mit den dazugehörigen Nebenräumen. Dieses Zimmer aber war sehr groß, und man blickte von da aus durch ein riesiges Fenster mit einer Terrasse davor auf einen Vordergarten und dann auf das Meer. Mersault stieg schnell hinauf. Das Meer begann schon zu dampfen, und zugleich vertiefte sich seine Bläue, während das warme Rot der Terrassenfliesen erst jetzt Strahlung und Glanz erhielt. Durch die weiß verputzte Balustrade drängten sich schon die ersten Blüten einer prächtigen Kletterrose. Sie waren weiß, und diejenigen, die sich weit geöffnet vom Meer abhoben, hatten etwas Sattes und Üppiges in ihrer festen Konsistenz. Von den Zimmern im unteren Stock blickte das eine auf die niedersten, mit Obstbäumen bestandenen Hänge des Chenoua, die beiden anderen auf

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