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Der glückliche Tod

Der glückliche Tod

Titel: Der glückliche Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Albert Camus
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den Garten und das Meer. Im Garten reckten zwei Pinien ihre überhohen Stämme, von denen nur der oberste Teil mit einem gelblichgrünen Pelz bedeckt war, in den Himmel empor. Von dem Haus aus konnte man einzig den Zwischenraum zwischen den beiden Bäumen und die geschwungene Linie des Meeres zwischen den Stämmen sehen. In diesem Augenblick bewegte sich wenigstens ein kleiner Dampfer auf die offene See hinaus, und Mersault begleitete ihn während der langen Reise von einer Pinie zur anderen mit dem Blick.
     
    Dort also würde er leben. Zweifellos rührte die Schönheit dieser Stätte an sein Herz. Um der Lage willen hatte er ja auch dieses Haus gekauft. Die Entspannung, die er zu finden gehofft hatte, erschreckte ihn jetzt jedoch. Und die Einsamkeit, die er so bewußt gesucht hatte, kam ihm nun, da er den Rahmen dafür kannte, eher beunruhigend vor. Das Dorf war nicht weit entfernt, nur ein paar hundert Meter. Er ging hinaus. Ein kleiner Pfad führte von der Landstraße zum Meer hinunter. Als er ihn einschlug, bemerkte er zum ersten Mal, daß man auf der anderen Seite die kleine Landspitze von Tipasa sehen konnte. Am äußersten Ende dieser Spitze zeichneten sich die golden schimmernden Säulen des Tempels und rings um sie her die verfallenen Ruinen zwischen den Wermutstauden ab, die von weitem wie ein grauer wolliger Überzug aussahen. An Juniabenden, dachte Mersault, müßte der Wind vom Meer her den Duft, den die sonnenheißen Wermutstauden entsandten, bis zum Chenoua herübertragen.
     
    Er mußte jetzt sein Haus instand setzen und einrichtend Die ersten Tage vergingen schnell. Er kalkte die Wände, kaufte in Algier Vorhänge und überholte die elektrische Installation. Über dieser Arbeit, die täglich durch die Mahlzeiten, die er im Dorfgasthaus einnahm, und durch Baden im Meer unterbrochen wurde, vergaß er, weshalb er hierher gekommen war und vergaß auch sich selbst über der Ermüdung seines Körpers, den Rückenschmerzen und den steifen Beinen, einzig beschäftigt mit dem schadhaften Anstrich und der Einrichtung einer nicht richtig funktionierenden Pendeltür im Korridor. Er nächtigte im Gasthaus und lernte nach und nach das Dorf kennen: die Burschen, die am Sonntagnachmittag kamen, um Lochbillard und Pingpong zu spielen (sie hielten die Spieltische den ganzen Nachmittag besetzt und machten zum großen Verdruß des Wirtes nur einmal eine Bestellung), die Mädchen, die am Abend auf der Straße über dem Meer promenierten (sie gingen untergehakt, und ihre Stimmen verweilten singend auf den letzten Silben der Wörter), Pérez, den Fischer, der das Gasthaus mit Fischen versorgte und einarmig war. Dort traf er auch den Dorfarzt, Dr. Bernard. Sobald jedoch im Haus alles in Ordnung war, brachte Mersault seine Sachen hinüber und kam wieder etwas mehr zu sich selbst. Es war Abend. Er hielt sich in dem Zimmer im ersten Stock auf, und draußen vor dem Fenster teilten sich zwei Welten in den Raum zwischen den beiden Pinien. In der einen, der transparenteren, wimmelte es von Sternen. In der anderen, die undurchsichtiger und schwärzer war, deutete ein verborgenes Plätschern von Wasser die Nähe des Meeres an.
     
    Bislang hatte er unbefangen dahingelebt, im Umgang mit den Arbeitern, die ihm halfen, oder dem Cafébesitzer, mit dem er zu schwatzen pflegte. An diesem Abend aber wurde er sich bewußt, daß es weder morgen noch jemals für ihn jemanden geben würde, den er treffen könnte, und daß er sich nun der so sehr ersehnten Einsamkeit gegenüber befand. Sobald es so weit war, daß er niemanden mehr sehen sollte, kam ihm der nächste Tag erschreckend nahe vor. Er versuchte sich jedoch selbst zu überzeugen, daß ja das gerade seinen Wünschen entspräche: eine lange Zeit bis zum Ende nur mit sich selber zu leben. Er beschloß bis spät in die Nacht hinein zu rauchen und nachzudenken, aber gegen zehn Uhr wurde er müde und ging zu Bett. Am nächsten Tage wachte er sehr spät, erst gegen zehn Uhr, auf, bereitete sein Frühstück und nahm es ein, bevor er sich ankleidete. Er fühlte sich etwas matt. Er war noch nicht rasiert, und das Haar hing ihm wirr in die Stirn. Dennoch ging er nach dem Frühstück, bevor er sich ins Badezimmer begab, planlos von einem Zimmer ins andere, blätterte in einer Zeitschrift, war schließlich geradezu froh, noch einen Schalter zu finden, der sich gelockert hatte, und machte sich an die Arbeit. Da klopfte es an der Tür. Es war der kleine Kellner aus dem Gasthaus, der ihm sein

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