Der Gluecksmacher
aufzusammeln und zu sparen,
das kommt dem Kind nicht in den Sinn.
Es löst sie leise aus den Haaren,
drin sie so gern gefangen waren,
und hält den lieben jungen Jahren
nach neuem seine Hände hin.
Schön, dachte Rainer. Gedankenverloren blickte er aus dem Fenster und vergaß darüber die Zeit. Seit er in der Versicherung begonnen hatte, waren es seine ersten langen Sekunden, die er unproduktiv verbrachte. Ihm war so wohl und ungewohnt leicht, dass er sich über seinen Zustand ein wenig wunderte.
7
Geschätzte zwei Monate später war ein Gedränge, Gewusel und Geschiebe auf dem Gang. Dimsch ging es gar nicht gut.
Kurz zuvor hatte er die Bürotür einen Spaltbreit geöffnet. Das war, als er das Stimmengewirr am Ende des Gangs gehörthatte und die Brandschutztür von der hereinströmenden Menschenmasse aufgedrückt worden war. Nun waren seine Kunden nicht mehr aufzuhalten: Frauen und Männer, Junge und Alte, Große und Kleine, Dicke und Dünne, gut und nachlässig Gekleidete, allesamt Glückssuchende, allesamt Menschen, die auf die Inserate reagiert hatten, in denen den ersten einhundert Testkunden eine kostenlose Versicherung aufs Glück versprochen worden war.
Gang und Besprechungszimmer waren in Regenbogenfarben gestrichen worden, und weil die Luftfeuchtigkeit hoch war und es
hier herinnen ganz komisch muffelte,
wie die Anstreicher befunden hatten, war die Farbe stellenweise noch feucht und deutlich zu riechen. Am Morgen, als Dimsch in die Versicherung gekommen war, hatte er seine Nase an die Wand gehalten und gefunden, dass keine der Farben, weder Rosa noch Himmelblau, Orange oder Gelb auch nur annähernd nach Glück roch. Die metallischen Klänge der Shaolin-Mönche machten ihn ohnehin wahnsinnig, und die Aphorismen an den Wänden, gedruckt in Optimismus ausstrahlendem Wiesengrün, verursachten ihm in dieser Größe und Aufmachung eine Nervosität, noch viel schlimmer als jene von den Zitat-Zetteln im Büro. Wie weit hatte er es nur kommen lassen! Er allein war schuld an diesem Spektakel, das doch nie und nimmer zu etwas führen konnte. Völlig verrückt war die Sache, alles nur Fassade und Trara, und er war der Anführer des Zirkus, der Oberclown. Dimsch erlitt einen Schweißausbruch.
Die Kunden draußen auf dem Gang – sie warteten auf ihre Einführungsgespräche und darauf, das Glück in Empfang zu nehmen – wurden immer gesprächiger, immer lauter. Dimsch wurde schlecht. Froh hätte er sein können, dass solch ein Andrang herrschte, doch jede Stimme von draußen jagte ihm einen neuen Schrecken ein.
Gleich würde das Telefon läuten, gleich Eva ihn zum ersten Testkunden bitten, gleich er als Chef des Projekts das erste Gespräch leiten müssen. Er griff zum Hörer, wählte Lichtenfels’ Nummer. Als sie abhob, sagte Dimsch: »Ich kann’s nicht machen.« Es klang endgültig.
»Sebastian, das ist das übliche Lampenfieber, alles ganz normal, mach dir keine Sorgen.« Sie hatte mit seinem Anruf gerechnet.
»Aber ich kann doch Menschen keine Versicherung andrehen, wenn ungewiss ist, ob sie funktioniert. Ich bin ja selbst nicht glücklich, zumindest nicht durchgängig, nicht oft.«
»Du setzt dir viel zu hohe Ziele, Sebastian.« Lara Lichtenfels versuchte, ihrer Stimme etwas unbeschwert Heiteres zu geben. »Ich bin sicher, dass es funktionieren wird. Es wird funktionieren, weil es schon bisher funktioniert hat. Erinnere dich doch, wie viele Menschen du alleine bei uns im Haus schon glücklicher gemacht hast. Auch ich bin glücklicher geworden dank dir«, log Lichtenfels, aber es war nur eine Notlüge und auch nur eine kleine, denn sie war zwar nicht glücklicher geworden, hatte aber immerhin ab und zu ein angenehmes Gefühl wahrgenommen, dank ihm. Gewiss, es war lächerlich dieses Gefühl, Sebastian war viel zu jung für sie, verheiratet zudem, aber darum ging es ja nicht, es reichte schon, nach all den Jahren endlich auf einen Mann zu treffen, der nicht so tat, als sei er unfehlbar, und der vielleicht gerade deshalb auf sie wirkte. Vermutlich ohne es zu wissen, strahlte er etwas selten Geheimnisvolles aus. Es reichte schon, in seiner Nähe zu sein. Na ja, freilich wäre ein bisschen mehr spannend gewesen.
»Sebastian«, sagte sie, »ich bin überzeugt, du machst es super.«
»Aber wenn ich von einem Kunden gefragt werde, wie manglücklich wird, muss ich antworten, dass ich nicht den geringsten Schimmer habe.«
»Sebastian, es sind heute ja lediglich Einführungsgespräche. Du musst keine
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