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Der Goldene Kompass

Der Goldene Kompass

Titel: Der Goldene Kompass Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Pullman
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und Holz sich bogen und häßlich knarrten.
    Wieder wirbelte ein Luftstoß für einen Moment Nebel und Schnee auseinander, und in der plötzlich klaren Luft sah Lyra, was um sie herum geschah. Eine Gruppe Gypter, angeführt von John Faa, verfolgte die tatarische Nachhut und trieb sie zu den glühenden Überresten von Bolvangar zurück, andere Gypter halfen einem Kind nach dem anderen, in die Schlitten zu steigen, und deckten sie mit warmen Fellen zu, Farder Coram blickte sich, auf seinen Stock gestützt, besorgt um, während sein braungoldener Dæmon suchend durch den Schnee sprang.
    »Farder Coram!« schrie Lyra. »Ich bin hier!«
    Der alte Mann hörte sie, drehte sich um und sah erstaunt zu dem am Seil zerrenden Ballon und den Hexen, die ihn am Boden hielten. Lyra winkte ihm wie wild aus dem Korb zu.
    »Lyra!« schrie er. »Alles in Ordnung, Kind? Bist du in dem Ballon gut aufgehoben?«
    »So gut wie noch nie!« brüllte sie zurück. »Auf Wiedersehen, Farder Coram! Auf Wiedersehen! Bringen Sie die Kinder heil nach Hause!«
    »Das werden wir, so wahr ich lebe! Leb wohl, Kind — leb wohl — leb wohl, Liebes…«
    In diesem Moment senkte der Aeronaut den Arm als Zeichen für die Hexen, die daraufhin das Seil losließen.
    Sofort hob der Ballon ab und strebte mit einer Geschwindigkeit, die Lyra nie für möglich gehalten hätte, inmitten des Schneegestöbers nach oben. Kurz darauf war der Erdboden im Nebel verschwunden, und sie stiegen immer schneller. Schneller als jede Rakete, dachte Lyra. Die Beschleunigung drückte sie auf den Korbboden, wo sie sich an Roger festhielt.
    Lee Scoresby schrie und lachte und stieß wilde texanische Freudenschreie aus. Iorek Byrnison zog in aller Ruhe seine Rüstung aus; geschickt hakte er eine Klaue in die Verschlüsse und zog sie auf, dann stapelte er die einzelnen Teile zu einem Haufen. Von irgendwo draußen war das Pfeifen und Rauschen der Wolkenkiefernzweige und Hexenkleider im Wind zu hören, offenbar begleiteten die Hexen sie bis in die höheren Luftschichten.
    Allmählich kam Lyra wieder zu Atem. Ihr Puls verlangsamte sich, sie wurde ruhiger. Sie setzte sich auf und blickte um sich. Der Korb war viel größer, als sie gedacht hatte. An den Rändern waren philosophische Instrumente festgebunden, außerdem gab es stapelweise Felle, Sauerstoffflaschen und eine Reihe anderer Dinge, die zu klein waren oder zu unübersichtlich aufeinanderlagen, um sie in dem dichten Nebel, durch den sie aufstiegen, erkennen zu können.
    »Ist das eine Wolke?« fragte Lyra.
    »Was sonst? Wickel deinen Freund in ein paar Felle, bevor er sich in einen Eiszapfen verwandelt. Es ist kalt hier, und es wird noch kälter.«
    »Wie haben Sie uns gefunden?«
    »Die Hexen. Hier ist übrigens eine Hexendame, die sich mit dir unterhalten möchte. Sobald wir aus der Wolke raus sind und die Lage gepeilt haben, können wir ein wenig miteinander plaudern.«
    »Iorek«, sagte Lyra, »danke, daß du gekommen bist.«
    Der Bär grunzte und ließ sich nieder, um das Blut aus seinem Fell zu lecken. Weil er so schwer war, neigte sich der Korb nach seiner Seite, aber das machte nichts. Roger hielt Abstand von ihm, aber Iorek Byrnison schenkte ihm nicht mehr Beachtung als einer Schneeflocke. Zufrieden hielt Lyra sich am Rand des Korbes fest, der ihr bis ans Kinn reichte, wenn sie stand, und sah mit großen Augen in die Wolke, die sie einschloß.
    Schon wenige Augenblicke später kam der Ballon aus der Wolke heraus und stieg, immer noch sehr schnell, zum Himmel empor.
    Was für eine Aussicht!
    Direkt über ihnen blähte sich das gewaltige Rund des Ballons. Über und vor ihnen schimmerte die Aurora mit einem Glanz und einer Pracht, wie Lyra es noch nie gesehen hatte. Sie waren fast vollständig von der Aurora umgeben, geradezu ein Teil von ihr. Riesige, gleißende Schwaden standen zitternd vor ihnen und teilten sich, als würden Engel mit den Flügeln schlagen; Kaskaden kalt leuchtender Pracht stürzten über unsichtbare Klippen in schäumende Bassins oder hingen wie gewaltige Wasserfalle vom Himmel herab.
    Der Anblick verschlug Lyra den Atem. Doch dann sah sie unter ihnen etwas, das beinahe noch wunderbarer war. In alle Richtungen dehnte sich, so weit das Auge reichte, ein weißes Wolkenmeer bis ans Ende des Horizonts aus. Hier und da erhoben sich sanfte Gipfel oder gähnten dampfende Spalten, doch der größte Teil sah aus wie eine kompakte Eismasse. Und von ihm stiegen einzeln, zu zweit oder in größeren Gruppen kleine

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