Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Goldene Kompass

Der Goldene Kompass

Titel: Der Goldene Kompass Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Pullman
Vom Netzwerk:
gegen die Kälte warm anziehen würden, könnten wir andere Dinge nicht mehr spüren, das Kribbeln der Sterne oder die Musik der Aurora oder am besten von allem die seidige Glätte des Mondlichtes auf der Haut. Dafür lohnt es sich, die Kälte zu ertragen.«
    »Kann ich das auch spüren?«
    »Nein, du würdest ohne deine warmen Kleider sterben. Behalte sie also an.«
    »Wie alt werden Hexen, Serafina Pekkala? Farder Coram sagt, viele hundert Jahre. Aber du siehst überhaupt nicht alt aus.«
    »Ich bin dreihundert Jahre alt oder älter. Unsere älteste Hexenmutter ist fast tausend. Eines Tages wird Yambe-Akka sie holen, und eines Tages auch mich. Sie ist die Göttin der Toten. Wenn sie freundlich lächelnd zu dir kommt, weißt du, daß es Zeit ist, zu sterben.«
    »Sind auch Männer Hexen? Oder nur Frauen?«
    »Es gibt Männer, die uns dienen, wie der Konsul in Trollesund. Und andere Männer sind unsere Liebhaber und Gefährten. Du bist noch jung, Lyra, zu jung, um das zu verstehen, aber
    ich sage es dir trotzdem, dann verstehst du es später: Männer kommen und gehen vor unseren Augen wie Schmetterlinge, Geschöpfe einer kurzen Jahreszeit. Wir lieben sie; sie sind tapfer, stolz, schön und klug und sterben gleich wieder. Sie sterben so schnell, daß der Kummer uns ständig das Herz zerreißt. Wir gebären ihre Kinder; aus den Mädchen werden Hexen, aus den Jungen Menschen wie du; und dann, im nächsten Augenblick, haben sie uns schon wieder verlassen, niedergestreckt, tot, verloren. Auch unsere Söhne. Wenn ein kleiner Junge heranwächst, hält er sich für unsterblich. Seine Mutter weiß, daß er es nicht ist. Das ist von Mal zu Mal schmerzhafter, bis uns schließlich das Herz bricht. Vielleicht ist das der Augenblick, in dem uns Yambe-Akka holt. Sie ist älter als die Tundra. Vielleicht ist für sie ein Hexenleben so kurz wie für uns ein Menschenleben.«
    »Hast du Farder Coram geliebt?«
    »Ja. Weiß er es?«
    »Keine Ahnung, aber ich weiß, daß er dich liebt.«
    »Als er mich rettete, war er jung und stark und stolz und schön. Ich verliebte mich auf Anhieb in ihn. Ich hätte mein Wesen geändert, ich hätte auf das Kribbeln der Sterne und die Musik der Aurora verzichtet, auf das Fliegen — all das hätte ich aufgegeben, sofort und ohne nachzudenken, um eine gyptische Bootsfrau zu werden, für ihn zu kochen, das Bett mit ihm zu teilen und seine Kinder zu gebären. Aber man kann nicht ändern, was man ist, nur was man tut. Ich bin eine Hexe, er ist ein Mensch. Ich blieb lange genug bei ihm, um ihm ein Kind zu gebären…«
    »Das hat er nie erzählt! War es ein Mädchen? Eine Hexe?«
    »Nein, ein Junge. Er starb an der großen Seuche, die vor vierzig Jahren aus dem Osten kam, der Arme. Er trat ins Leben und mußte gleich wieder gehen, wie eine Eintagsfliege. Es zerriß mir schier das Herz, wie jedesmal. Coram war verzweifelt. Und dann wurde ich aufgefordert, zu meinem Volk zurückzukehren, weil Yambe-Akka meine Mutter geholt hatte und ich Clan-Königin geworden war. Ich mußte also gehen.«
    »Und du hast Farder Coram nie wieder gesehen?«
    »Nie wieder. Ich hörte von seinen Taten. Ich hörte, daß ein vergifteter Pfeil der Skrälinge ihn verwundet hatte, und schickte Kräuter und Zaubermittel zu seiner Genesung, aber ich war nicht stark genug, ihn zu besuchen. Ich hörte, daß er danach ein gebrochener Mann war und daß seine Weisheit wuchs, weil er viel studierte und las, und ich war stolz auf ihn und die guten Dinge, die er tat. Aber ich hielt mich fern von ihm, denn es waren gefährliche Zeiten für meinen Clan. Hexenkriege drohten, und außerdem glaubte ich, er würde mich vergessen und eine Frau unter den Menschen finden…« »Das würde er nie«, sagte Lyra entschieden. »Du mußt ihn besuchen. Er liebt dich immer noch, ganz bestimmt.«
    »Aber er würde sich für sein Alter schämen, und das will ich nicht.«
    »Vielleicht. Aber ich finde, dann solltest du ihm wenigstens eine Nachricht schicken.«
    Serafina Pekkala schwieg lange Zeit. Pantalaimon verwandelte sich in eine Seeschwalbe und flog auf ihren Ast, um ihr zu verstehen zu geben, daß Lyra sie nicht hatte kränken wollen. Schließlich sagte Lyra: »Warum haben eigentlich alle Menschen Dæmonen, Serafina Pekkala?«
    »Das fragen alle, und keiner weiß eine Antwort. Solange es Menschen gibt, gibt es auch Dæmonen. Das unterscheidet uns von den Tieren.«
    »Stimmt! Von denen unterscheiden wir uns wirklich… Zum Beispiel von den Bären. Seltsame

Weitere Kostenlose Bücher