Der goldene Kuß
halten!« rief Karin, als sie vor dem in allen Farben leuchtenden Lastwagen stand. »Seid ihr Araber immer so?«
»Ich bin eifersüchtig auf alles!« sagte Amar dumpf. »Ich werde jeden umbringen, der dir Blumen bringt …«
Etwas entfernt stand Theo Pelz in einer Ecke des großen Flughafengebäudes und beobachtete die Abfahrt des Taxis und des Blumenwagens.
Er kam von dem Gedanken nicht los, daß dies wie die Fahrt zu einer Beerdigung aussah und nicht wie die Fahrt in ein millionenschweres Glück.
*
Fünf Tage lang hörte Vera nichts mehr vom Sender. Sie war zurück in ihr möbliertes Zimmer und zu Frau Mayer gefahren, saß herum, ging spazieren und wartete auf eine Absage.
»Vielleicht habe ich mich dumm benommen«, sagte sie, als die Witwe sie aushorchte und blanke Augen bekam, wenn Vera von der einsamen Jagdhütte erzählte. »Aber ich kann das einfach nicht …«
»Es war gut so, Vera.« Frau Mayer sah verträumt vor sich hin. »Die Liebe soll etwas Heiliges bleiben, kein Handelsobjekt. Du hast schon richtig gehandelt, Kindchen.«
»Und wenn man mir abschreibt?«
»Ich denke, Sie haben einen Vertrag?«
»Nur eine Zusage von Programmdirektor Pelz. Die Probeaufnahme sollte alles entscheiden … und vielleicht die Nacht im Wald. Beides ist danebengegangen …«
»Wenn Sie Herrn Pelz einmal anrufen …?«
»Das tue ich nie!«
»Soll ich …?« Die Augen der Witwe Mayer funkelten. Mit dem Fernsehsender sprechen, dachte sie. Vielleicht sogar mit dem Intendanten selbst. Wer kann das schon? Wenn man das den Freundinnen erzählt, so ganz beiläufig … »Ich habe gestern mit dem Intendanten vom Fernsehen eine lange Unterredung gehabt …« Es konnte eine Sternstunde innerhalb des Kaffeekränzchens werden …
Fünf Tage sind eine kurze Zeit, wenn der Alltag über einen hinwegrollt. Aber sie werden zu einer Ewigkeit, wenn man auf etwas Wichtiges wartet. Viele Stunden hat man zur Verfügung, über sich und die anderen nachzudenken. Und viele Stunden gehen herum mit der Frage: Was werden sie schreiben? Wie werden sie schreiben? Werden sie rücksichtslos sagen: Kein Talent? Werden sie es mit vielen Worten umschreiben und das gleiche meinen? Oder bot man ihr etwas anderes an, nachdem man sie vom Konkurrenzsender weggeholt hatte mit vielen Versprechungen? Vielleicht wieder die Programm-Ansage? Uhrzeit – Titel … Uhrzeit – Titel … Oder nur ihre Stimme, als Erklärer von Werbespots … Oder ab und zu eine kleine Rolle: ein Zimmermädchen, das ein Tablett hineinträgt … eine Dirne, die verrucht rauchend unter einer Laterne steht … eine russische Schlampe in einem Stück von Gorkij … ein ins Wasser springendes Mädchen in einem knappen Bikini als Untermalung einer Musikshow? War das ihr Weg zum Ruhm? Endete so der Traum, eine große Schauspielerin zu werden? Wie hatte der Lehrer auf der Schauspielschule gesagt? »Vera, du bist ein liebes Mädchen und du bist begabt. Aber der Weg nach oben ist voller Dornen und Steine; die meisten stolpern darüber und kommen lädiert ans Ziel. Andere bleiben auf der Strecke. Nur Sonntagskinder der Kunst erreichen den Gipfel unbeschädigt. Paß auf dich auf, Vera!«
Ein paarmal war sie nahe daran, doch Theo Pelz anzurufen. Dann ging sie zu ihrem alten Funkhaus und sah sehnsüchtig die langen Fensterreihen entlang. Dort, in der zweiten Etage, war das Besetzungsbüro. Dort saß Hugo Pranner, der Unterhaltungschef, und stellte die Programme zusammen. Wenn man jetzt zu ihm ging, ganz klein und häßlich, und zu ihm sagte: »Herr Pranner … vielleicht ist noch Platz in einer Show … in einer Revue … ich kann auch tanzen … und ein bißchen singen … Ich war ja so dumm, an die große Chance zu glauben … Ich dachte, Märchen könnten wahr werden, gerade beim Fernsehen. Aber es gibt keine wahren Märchen …«
Am fünften Tag kam endlich ein Brief. Absender: Programm-Direktion. Witwe Mayer, die immer alle Post an der Tür abnahm, kam zu Vera ins Zimmer und trug den Brief vor sich her wie eine Standarte.
»Ein Brief vom Sender!« schrie Vera und sprang auf. »Mama Mayer … von wem?«
»Von dem großen Theo Pelz.«
»Geben Sie her! Geben Sie her!« Vera riß ihr den Brief aus der Hand und rannte damit zum Fenster. Es war ein trüber Herbsttag, im Zimmer lag das Grau des Himmels.
»Was schreibt er?« fragte Witwe Mayer und kam zu Vera ans Fenster. »Wie reden sich die feinen Herren heraus?«
»Ich bin engagiert!« Vera drückte den Brief an ihre Brust. Ihr Gesicht
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