Der goldene Kuß
niederzulassen.
Programmdirektor Pelz gab ihr ein dickes, mit dem Vervielfältiger abgezogenes Heft und nickte dem Regisseur zu. Detlev Cranz schlug sein Regieheft auf und blätterte darin herum.
»Ich darf die Handlung erklären«, sagte er und blickte zu dem kleinen bärtigen Mann, »soweit überhaupt Handlung drin ist.«
»Er beleidigt mich schon wieder!« schrie der Autor. »Die Handlung liegt im Gesamtarrangement!«
»Also: Zunächst das übliche Quiz mit allem Pipapo. Den übernimmt Holger Roggenkamp. Er hat übrigens telegrafiert. Kommt erst morgen. Ist heute noch in Zürich und spielt Theater. Für die erste Sendung haben wir vier Quizausscheidungen bis zur Ermittlung des Siegers. Es ist übrigens die erste Quizsendung nur für Männer. Das bedeutet, daß die Aufgaben gesalzen sind. Männlicher Sex gewissermaßen. Das wird eine Sendung für die Frauen, sage ich Ihnen. Erste Aufgabe: Striptease für Männer! Sie kommen in einer Ritterrüstung auf die Bühne, die aus zehn Teilen besteht. Jedes Teil ist mit einem Vorhängeschloß an einem anderen Teil befestigt. Die Männer bekommen von Roggenkamp ein großes Schlüsselbund mit vierzig Schlüsseln in die Hand. Aber nur zehn passen für die zehn Schlösser. Nun geht's los … sie müssen mit dem richtigen Schlüssel das richtige Schloß aufschließen und sich stückweise von der Rüstung befreien. Der Sieger steht dann da in langen weißen Unterhosen.«
»Das finde ich gut«, sagte Pelz laut. Da er es gut fand, gab es keine weiteren Einwände. Nur der kleine Mann hob die Schultern. Gerade diese Szene war nicht von ihm, sondern von Cranz selbst.
»Nach der Siegerehrung erster Auftritt von Vera Hartung.« Alle Köpfe wandten sich wieder Vera zu. Sie wurde rot und biß sich auf die Lippen. »Die Quizsache klappt, wird in Studio II geprobt. Die Rüstungen sind in der Werkstatt. Vera, Sie kommen als Ritterfräulein auf die Bühne und singen: ›Rittersmann, du kleiner Rittersmann, du meiner, meine Kemenate ist so öd und leer …‹ Gut, was?«
Pelz nickte, aber Vera krampfte die Hände ineinander.
»Ich habe doch noch nie gesungen«, sagte sie laut.
»Macht nichts. Geht playback!« Cranz winkte ab.
»Aber ich weiß doch gar nicht, ob ich singen kann.«
»Jeder kann singen; das beweisen wir schon durch die Technik im Musikstudio. Wenn der Gewichtheber Mauermann singen kann und der Eisschnelläufer Pirvo Haikaijainen sogar eine goldene Schallplatte herunterwimmert, können Sie das auch! Wir machen nachher eine Aufnahme im Studio V. – Also weiter: Zweites Quiz.«
Vera sah Theo Pelz neben sich hilfesuchend an. Er nickte ihr ermutigend zu. Sein Blick sagte: Es wird schon gehen. Vertrauen, Mädchen. Vertrauen! Wer so begabt ist wie du …
»Die nächste Aufgabe ist, eine Kletterstange hinaufzuklettern und dort von einem Podest zehn Bälle herunterzuholen. Das klingt so leicht … Turner, die im Sportstudio waren, haben mit Ach und Krach sieben Bälle gekriegt. Man muß bedenken: Die Stangen sind sechs Meter hoch! Nach der Siegerehrung wieder Vera Hartung mit 'nem neuen Lied. Dieses Mal im Kostüm der zwanziger Jahre. Charleston! Text: ›Max, du kannst die Stange halten, Max, das ist ja wunderbar! Stabhochspringen ist 'ne Wonne …‹ und so weiter! Dazu das Trimborn-Ballett. Wird eine schöne Nummer …«
So ging es weiter, bis die ganze Sendung durchgesprochen war. Der Höhepunkt der Show war der ›goldene Kuß‹ des Siegers aus dem Quiz: Hinter einer goldenen Wand standen fünf Ballettmädchen und der Gaststar des Abends. In diesem Falle war es die Filmschauspielerin Trude Ahning. Der Quizsieger sah von diesen Mädchen nichts als die durch die goldene Wand gedrückten roten Lippen. Er mußte nun von Mund zu Mund gehen, ihn küssen und hinterher sagen: Mund Nummer drei gehörte Trude Ahning. War das richtig, bekam er eine Reise nach Capri. Vierzehn Tage Gast bei Trude Ahning. Riet er falsch, bekam er einen Orden in Form eines zum Kuß geöffneten großen Mundes. Einen Orden aus vierzehnkarätigem Gold. Am Ende der Sendereihe – man hatte zwölf Shows geplant – sollte der Siegerkuß Vera Hartung heißen.
»Bis dahin haben Sie eine Villa im Tessin«, sagte Theo Pelz zu Vera und beugte vor. »Wenn nicht … wir werden noch darüber sprechen, wohin Sie den Sieger einladen …«
Und dann war Vera plötzlich allein. Die meisten der Anwesenden umringten das Szenenbild auf dem Podest. Der Architekt verteidigte es mit lauten Worten. Sie stand auf und ging
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