Der goldene Schwarm - Roman
Baines hinzu und deutet auf die Tasche. »Probieren Sie sie an, bevor Sie schlafen gehen, und tragen Sie sie am Morgen.«
»Ja«, sagt Edie. »Natürlich.«
Notwendigerweise ist die Cuparah groß, für ein U-Boot ist sie sogar riesig – wie ein untergegangener gotischer Zerstörer, in dessen Inneren sich ein Art-déco-Kreuzfahrtschiff verbirgt –, und so sehen die Kabinen aus wie Zimmer in kostspieligen Luxushotels. In ihrer eigenen Kabine sitzt Edie Banister, starrt auf das Foto, und im Licht ihrer verschnörkelten Leselampe starrt das fotografierte Gesicht zurück. Überall um sie herum flüstern Wasser und Luft: Das Unterseeboot hat zwei Rümpfe, einen im anderen. Die inneren Wände sind wabenartig angelegt – was das Boot stärker, flexibler und zugleich leichter macht, wie ihr die Ruskiniten an Bord erklärt haben, und das Verlegen von Kabeln und Rohrleitungen ermöglicht. Während das Boot sich bewegt, seufzt und kichert es vor sich hin, sodass Edie das Gefühl hat, von einem riesigen, asthmatischen Hund umgeben zu sein.
Das weiße Hemd hat schmale Ärmel und ist so streng geschnitten, dass es ihre ohnehin minimale Oberweite zum Verschwinden bringt. Über das Oberteil gehört eine Jacke mit breiten Schultern, die einen sehr männlichen, sehr dreieckigen Torso formt, der sich zu ihren Hüften hin verjüngt. Beim Durchwühlen ihrer Taschen findet sie ihre Rangabzeichen und bringt sie an dem dicken Kragen an. Sie hat auch einen falschen Schnurrbart, der dem von Shem Shem Tsien nicht unähnlich ist, ein Paar zarter Spatzenflügel. Vorsichtig drückt sie ihn über ihrer Oberlippe fest. (Auf gar keinen Fall möchte sie ein Gespräch mit dem Opium-Khan führen, das mit den Worten beginnt: »Commander Banister, Ihr Schnurrbart ist gerade in die Gazpacho gefallen.«) Dann wendet sie sich dem Spiegel zu.
Der Effekt ist beeindruckender, als sie erwartet hatte. Ein blasses, ernstes Gesicht blickt ihr entgegen, das eines jungen Mannes, der gerade seiner Knabenzeit entwachsen ist und sich vielleicht zu sehr darum bemüht, männlich zu wirken. Aber es ist definitiv nicht das Gesicht einer Frau. Wie eigenartig. Sie setzt ihre Mütze auf und schaut noch einmal hin. Eigentlich ist dieser junge Mann im Spiegel sogar ganz attraktiv – nicht auf herb markante Weise, sondern als feingliedriges Geschöpf, das noch unerfahren, aber geschmeidig ist und Edies geschickte, unverklemmte Nachhilfe gut gebrauchen könnte. Völlig neue Fantasien ziehen an ihrem geistigen Auge vorbei. Mann, Mann, Mann … ihre Hände fahren am Umriss seiner – ihrer – Uniform entlang. Ähem. Eigentlich eine Schande, dass sie nicht mit sich selbst ins Bett gehen kann. Sie dreht sich zur Seite … köstlich .
Und eine Ablenkung. Edie grinst ihr Spiegelbild höhnisch an, in der Hoffnung, einen gefährlichen Gesichtsausdruck zustande zu bringen. Hm . Das ist kein Blick, der einen herannahenden Feind aufhalten wird. Sie versucht es noch einmal, diesmal mit selbstbewusster Verachtung. Es klappt nicht, bringt stattdessen einen seltsam aufgesetzten Ausdruck mörderischer Absichten hervor.
Die Cuparah zittert und bellt; dieser Punkt wird Thermokline genannt. Edie weiß nicht, was damit gemeint ist, aber wenn er erreicht wird und das Boot an ihm abprallt, ist es, als würde man durch Stromschnellen fahren, und jedes Mal, wenn es passiert, fällt ihr wieder ein, wie tief unter der Wasseroberfläche sie sich befindet und wie weit weg von zu Hause. Wenn sie nur etwas Wärme in ihre Knochen kriegen könnte. Warum zum Teufel ist es in einer eisernen Zigarre voller arbeitender Männer in dreißig Metern Tiefe so kalt? Sie fragt sich, ob sie Amanda Baines um einen Heizlüfter bitten könnte.
Im Grunde weiß sie, warum es kalt ist. Übermäßige Hitze ist ein Hauptproblem in Unterseebooten, und bei der Cuparah ist es noch schwerwiegender, da sie alle möglichen raffinierten Gerätschaften beherbergt, einschließlich der Dechiffriermaschine, die bei der Arbeit so heißläuft, dass sie in England nur von Mädchen betrieben werden kann, die lediglich ihre allervernünftigste Unterwäsche am Leibe tragen. Da es sich um ein Ruskiniten-Unterseeboot handelt, gibt es eine unglaublich clevere Lösung des Problems, bei der Wasser mittels einer Pumpe zwischen der inneren und der äußeren Hülle des Bootes zirkuliert. Dieses Wasser wird – sogar noch raffinierter – ebenso zur Unterstützung beim Manövrieren genutzt und trägt, da es nicht kompressibel ist, zur Stärkung
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