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Der goldene Schwarm - Roman

Der goldene Schwarm - Roman

Titel: Der goldene Schwarm - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Knaus Verlag: Verlagsgruppe Random House GmbH
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Wohnung in Soho die Leiche deines jahrelangen Freundes, Kindheitsmentors und Hurentreibers in einem äußerst toten Zustand vorgefunden. Bis zu diesem Punkt bist du dir unsicher, ob du die Schergen des Gesetzes selbst angerufen hast, die in Gestalt des alten Schmeichlers Patchkind eintrafen – der übrigens ein erstklassiger Lügner ist und keinerlei Nichten hat. Doch du hast dir einen Ruck gegeben und die Quelle großer Weisheit namens Cradle herbeigerufen, damit sie sich um den Notfall kümmert.«
    »Ja.«
    »Immer unter der Voraussetzung, dass man behaupten kann, eine Quelle könne herbeigerufen werden, was ich unwahrscheinlich finde.«
    Bei diesem Versuch, die Stimmung zu heben, hat Joe Spork genug. Er liebt Mercer wie einen Bruder, aber manchmal macht ihn die aufgeblasene Wortspielerei regelrecht krank. Sie verbirgt Gefühle. Tatsächlich macht sie sich über Gefühle lustig, um besser so tun zu können, als stünde man über ihnen. Joe springt auf die Füße und greift sich seine Jacke. Er hat keine klare Vorstellung davon, wohin er gehen wird, aber er will raus, raus aus diesem bizarren Chaos und zurück in sein altes, gemütliches Leben. Vielleicht wird er ein Schiff nach Indien besteigen und einen Laden in Mumbai eröffnen. Vielleicht rasiert er sich auch den Kopf und baut Uhren in einem Kloster oder heiratet eine Muslima und zieht nach Dubai, wo man Uhrwerken und Automaten und den Männern, die sie herstellen, noch Respekt zollt. Vielleicht wird er auch einfach nur durch die feuchten, gleichgültigen Straßen Londons laufen, bis sich seine wilde Verwirrung gelegt hat. Er weiß nicht, was er tun wird, aber hier eingeschlossen zu bleiben ist keine Lösung, dessen ist er sich sicher. Er will, dass Ari ihm Katzengift verkauft. Er muss Joyce anrufen und ihr mitteilen, dass Billy Friend tot ist. Er muss seine Mutter besuchen. Er muss schlafen.
    Es wäre auch sehr schön, wenn ihn jemand in den Arm nehmen würde, bloß für eine Minute.
    Er drängt durch die Tür in die vorderen Büroräume, fest entschlossen, auf direktem Weg das Gebäude zu verlassen und immer weiterzulaufen, bis er zu einem Entschluss gekommen ist, was er als Nächstes tun soll. Abgehalten wird er von einem Zeh.
    Der Zeh erwischt ihn im oberen Oberschenkelbereich ziemlich hart, sodass er ruckartig zum Stehen kommt. Unter anderen Umständen könnte die Präsenz eines Zehs in diesem Bereich durchaus erotisch sein, zumal es sich in der Tat um einen sehr sexuellen Zeh handelt. Er ist blass und rundlich und hat die perfekte Größe, um ihn sich in den Mund zu stecken und – wenn man eine derartige Neigung hat – an ihm zu lutschen. Er ist glatt und mit einem leuchtenden, schimmernden Rot lackiert, abgesehen von einem zarten Streifen winziger schwarzer Netzmuster, die ganz oben auf die Nägel gesetzt wurden. Es ist ein Zeh, der die Welt gesehen und schlimme geheime Dinge getan hat, von denen andere Zehen nur träumen können.
    Der Zeh wird von vier weiteren in einem glänzenden Lackpantoffel begleitet, und das gesamte Segment ist mit einer muskulösen, doch recht schlanken Wade verbunden. Um das Fußgelenk herum befindet sich ein Gegenstand, der kurz seine Aufmerksamkeit fesselt: eine stilvolle Frauenuhr, die an einer schmalen Goldkette hängt. Sie ist wertvoll, aber nicht in übertriebenem Maße, mit einem einzigen funkelnden Kristall obenauf.
    Über der Wade befinden sich ein kräftiges, aber nicht anstößiges Knie sowie ein Oberschenkel, der beinahe sofort unter einem grauen Bleistiftrock verschwindet. Das Bein verfügt, wie allgemein üblich, über ein spiegelbildliches Gegenstück, was eine Gesamtsumme von zweien ergibt, ein Paar, das einer Frau mit unerschrockenen Augen gehört, die im Rezeptionistinnen-Stuhl ruht. Sie spricht.
    »Hinsetzen, bitte.«
    Sie lächelt zu ihm auf, und als er nicht zurücklächelt, wiederholt sie die Aufforderung mit strenger Miene. Ohne recht zu wissen, warum, lässt Joe sich auf der Kante eines modernen roten Stoffsessels nieder und kippelt. Die Frau vor ihm schenkt ihm nun ein aufmunterndes Lächeln.
    »Mercer hatte mich gebeten, hier zu warten, falls ich noch gebraucht würde. Das hier hatte er zwar sicher nicht im Sinn, aber das ist genau das Problem mit Mercer. Seine Genialität ist ziemlich undurchsichtig, selbst für ihn. Vielleicht besonders für ihn.«
    »Bethany?«
    Einen Augenblick lang verzieht sich ihr Mund, ob angewidert oder bestätigend, kann er nicht sagen. »Nein. Bethany ist immer noch im

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