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Der goldene Schwarm - Roman

Der goldene Schwarm - Roman

Titel: Der goldene Schwarm - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Knaus Verlag: Verlagsgruppe Random House GmbH
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Tisch in Richtung ihres Sohnes.
    »Vergeben Sie mir, Eure Hoheit, wenn ich darf: Ist es möglich, dass es sich bei der Blume, von der Sie sprachen, um Jasmin handelt?«
    Dotty Catty blickt ihn aus feuchten, misstrauischen Augen heraus an.
    »Nein.«
    »Ich sagte: War es Jasmin ?«
    »Erheben Sie nicht Ihre Stimme vor mir, junger Mann!«
    Commander Banister starrt sie an.
    »Nein«, sagt Dotty Catty, »ganz im Gegenteil. Ich denke, es dürften Gänseblümchen gewesen sein. Ja, ganz schlicht und langweilig. Ich mag Sie nicht. Sie sind genauso hübsch wie er und ganz von der falschen Sorte. Sagen Sie George, er soll seine Männer gefälligst sorgfältiger aussuchen. Bestellen Sie ihm das von mir.« Sie kommt auf die Füße und holt mit der Hand nach ihm aus. »Aus dem Weg. Platz da! Muss ich in meinem eigenen Haus belästigt werden? Springt mir mein Sohn denn überhaupt nicht zur Seite? Ein Mörder und zugleich ein Schwächling zu sein, ist eine elende Kombination. Die höchsten Zimmer in diesem Palast muss ich bewohnen, damit ich von meinen Liebsten ferngehalten werde, und Wächter und Mädchen muss ich erdulden, die mir die Füße waschen, und als Gast eine verrückte Ausländerin mit ihren lästigen Maschinen, und weit, weit weg von meinen Schätzen und schönen Dingen muss ich leben, oh ja. Und nun auch noch Sie! Sie entsetzlicher Mensch aus London, der mir sagt, dort habe sich alles verändert. Natürlich hat es das! Nichts Gutes hat Bestand. Alles Schöne wird zu Staub und zu Asche all unsere Lust. Verstehen Sie? Pah! Aus dem Weg, Junge! Ich war schon aus anderem Holz geschnitzt, bevor Sie überhaupt geboren wurden!«
    Dotty Catty greift nach James Banisters Jacke, verfehlt diese, und ihre uralte Hand krallt sich stattdessen in seinen Schritt. Und zum ersten Mal erleuchtet ein breites, tückisches Grinsen ihr Gesicht. Sie starrt die uniformierte Gestalt an und nickt zufrieden vor sich hin.
    »Du liebe Güte«, sagt sie, und ihre verrückten alten Augen richten sich auf Shem Shem Tsien, »mit dem, was Sie da haben, werden Sie im Leben nicht weit kommen.«
    Commander Banister entfernt ihre Hand mit einer eleganten Bewegung und verleiht seiner Stimme Nachdruck. »Ich habe immer den Eindruck gehabt, dass das, worüber ich verfüge, seinen Aufgaben durchaus gerecht wird, Eure Hoheit.«
    Wieder grinst sie hocherfreut. »Daran zweifle ich nicht. Und nun wird er Ihnen Unterhaltung anbieten, um Sie davon zu überzeugen, dass Sie ein richtiger Mann sind.« Das ist eine Warnung. Sieh an. Und mit einem letzten »Viel Glück, mein Junge« und einem Papierrascheln, das kaum hörbar ist, weil ihre andere Hand in eine Metallschale mit Obst greift und diese klappernd über den ganzen Tisch kullern lässt, steckt Dotty Catty im besten Geheimagentenstil eine Nachricht in die Innentasche des britischen Gesandten und zieht ab. »Im Gegensatz zu manch anderem«, sagt sie noch einmal und funkelt den Opium-Khan an.
    Es folgt eine tiefe, nervöse Stille.
    »Heiliger Himmel«, raunt James Banister dem Opium-Khan zu. »Ich hab schon gedacht, gleich reißt sie mir das verdammte Ding ab. Das war knapp, was?«
    Der Opium-Khan starrt ihn an, findet dann irgendwo ein diplomatisches Lachen und nickt zustimmend.
    »In der Tat, Commander Banister. In der Tat.«
    »Aber ich muss schon sagen, muss eine ziemliche Nummer gewesen sein zu ihrer Zeit, Ihre alte Ma, was?«
    Shem Shem Tsien klatscht in die Hände.
    »Commander Banister, Sie sind ein Ausnahmefall. Sie haben mich wirklich aufgeheitert … Dem Gast gebührt die Ehre. Lasst meine Küken den Schwan hereinbringen«, ruft er. Einen Augenblick später füllt sich der Raum mit Frauen in sehr knappen Federkostümen. Und irgendwo, inmitten jeder Menge nackter Haut, befindet sich das Abendessen auf einer goldenen Platte.
    Edie Banister hat einen Fuß in die Astgabel eines Baumes und den anderen in die enge Schlinge eines Seiles, das von ihrer Fensterbank herabhängt, eingehakt. Noch immer trägt sie James Banisters Schnurrbart, und ergänzend dazu ein steifes Unterwams aus einem Material, das sie noch nie gesehen hat und das ihr im Extremfall einen gewissen Schutz vor leichten Waffen bieten wird. Abel Jasmine hatte die Worte gewissen und leicht betont. Es wird es jemandem erschweren, sie mit einer Rasierklinge zu verletzen. Es wird sie aber nicht vor dem Bolzen einer Armbrust schützen oder vor einem Schuss aus den Waffen, die die Wächter des Opium-Khans tragen, die gerade unter ihr patrouillieren.

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