Der goldene Schwarm - Roman
alles begann, in der Nacht, in der sie Bruder Sheamus erwählten.«
Und dann setzt sie sich in Positur, um davon zu erzählen – mit schwer hängenden Mundwinkeln und feuchten Augen, die zurück in die Vergangenheit starren.
»Was die Ruskiniten wollten – was sie immer gewollt hatten –, war an jedem Projekt der säkularen Welt teilzuhaben, das in seiner Ausführung das Göttliche im Menschen offenbaren könnte. Tatsächlich spekulierten die vorwitzigsten unter ihnen, ob es nicht wahrscheinlich sei, dass das Auge Gottes sich auf die ausgereiftesten, vollkommensten Artefakte menschlicher Bemühungen richtete. Und waren es nicht die, die ohnehin dem Göttlichen in uns am nächsten kamen?«
Cecily seufzt. »Aber sie kämpften einen aussichtslosen Kampf, nicht wahr, Joe?«
»Ich denke schon.«
»Oh ja. Natürlich war es so. Diese Zeit war vorbei. Nach dem Krieg gab es keinen Bedarf mehr fürs Handwerk. Wenn etwas nicht maschinell hergestellt werden konnte, in Massenproduktion, konnte es sich fast niemand mehr leisten. Also gab es eine neue Doktrin: Einzigartigkeit war elitär, massenproduzierte Güter waren gut. Perfektion sollte für jedermann erschwinglich sein, und alles musste klein genug sein, um es in eine Stofftüte stecken und mit nach Hause nehmen zu können.
Sie kämpften weiter, aber um 1980 herum konnten sie sich nichts mehr vormachen. All diese Schulterpolster und das Aufkommen der Elektronikspielzeuge. Walkmen anstelle von Spieluhren. Videorekorder anstelle von Charaden. Eine ganze Nation verfiel der Elektroindustrie. Alles musste Mega sein. Megabucks, Megastar, Megadeath. Es bedeutet Million , wisst ihr. Tja. Für einen Ruskiniten ist eine Million zu viel. Eine Million Tage ist mehr als drei Menschenleben. Eine Million Meilen ist die dreifache Entfernung bis zum Mond. Aber in den Achtzigern drehte sich alles nur um Millionen.
Es hat sie zerrissen. Wenn Gott die Handwerksarbeit liebte, dann war Gott tot.
Der Orden von John, dem Werker, stand kurz vor der Auflösung, was traurig, aber passend gewesen wäre. So ist das mit Handwerksberufen, sie legen eine gewisse Strecke zurück, und dann gibt es sie nicht mehr. Aber dann, als ein neuer, unerfahrener Hüter namens Theodore Sholt nach einem Weg suchte, wie sich der säkularen Welt helfen ließe, sah er sich plötzlich von einem Rivalen bedrängt. Von einem falschen Propheten.
Ich war dort«, sagt Cecily tonlos, als spräche sie von einer öffentlichen Hinrichtung. »Einer von Foalburys Freunden rief uns an und erzählte uns, es gäbe da einen wunderbaren Mann. Einen eigenartigen, mitreißenden Mann, der die Ruskiniten retten würde. Nun, wir gingen natürlich hin. Hättest du es dir nicht angeschaut? Aber als wir es schließlich vor uns sahen, war es schrecklich. Er rettete überhaupt nichts. Er nahm etwas weg und verleibte es sich ein, und sie alle haben es nicht begriffen.«
Bob Foalbury legt einen Arm um sie, und als Cecily unfähig zu sein scheint, die Geschichte fortzusetzen, nimmt er den Faden auf.
»Er nannte sich Bruder Sheamus, und er war … er war perfekt. Er sah wie der verschissene Professor Moriarty persönlich aus. Man hat nur gehofft, dass Basil Rathbone reinkommt und ihn aufhält. Ich zumindest. Und er war nicht irischer als ein schottisches Ei.
Sheamus machte sich unverzüglich ans Werk. Er kam als verlorener Sohn, ein Sohn, der im Morgengrauen ins Nest zurückkehrt. Er kam zu Fuß ins Sharrow House, durch gusseiserne Pforten und an den alten Schienen der Artilleriestation aus dem Krieg vorbei, die Eibenallee hinunter und nahm die Zugbrücke über den Burggraben, den irgendein viktorianischer Geselle für eine gute Idee gehalten hatte. Er stand mit ihnen auf dem großen Balkon, schaute auf Londons Dächer hinab, lauschte dem Verkehr und Big Ben und äußerte sein Bedauern über die modernen Häuserblocks, die den Blick auf den Fluss versperrten. Er ließ sie wissen, dass er all das liebte, den Garten, den Blick, das ganze Haus, bei dem es sich schließlich um die Seele des Ordens von John, dem Werker, handelte. Er liebte sie. Er verstand ihren Schmerz und ihre Furcht. Er war ein Mann Gottes.
Sein Englisch war exquisit und klang doch fremdländisch. Gerüchte besagten, er habe sich in der orthodoxen armenischen Kirche in Jerusalem ausbilden lassen. Es wurde getuschelt, er sei in Eton gewesen und hätte im SAS gedient, dass er mit Wilhelm Reich zusammengearbeitet habe. Er sagte, er habe die Kutte in Burma gewählt, als ein
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