Der goldene Schwarm - Roman
statische Aufladung seines Fingers an ihm zieht. Tödlich für Elektronik. Wunderbar für Uhrwerke.
Er bewegt seinen Finger erst in die eine, dann in die andere Richtung, und der Faden spult sich ein Stück weit ab. Er versucht es noch einmal. Der Faden fliegt auf seine Fingerspitze zu und davon. Joe hält den Atem an. Die Biene bewegt sich nicht.
Langsam setzt er alles wieder zusammen, Schicht für Schicht, dann die Flügel, und schließlich stellt er die Biene wieder auf den Tisch.
»Nun«, sagt Mercer nach einem Augenblick, »ich vermute, wir sind jetzt auch nicht schlechter dran als vorher.«
Nach einer Weile lassen sie die Biene, wo sie ist, und wenden sich der Plattensammlung und dem kleinen tragbaren Grammophon zu, das als Ferkel bekannt ist.
Das Gerät gibt tatsächlich ein leises Schnaufen von sich, als Joe an der Kurbel dreht, und dann eine Art durchdringendes Oink , als er es voll aufgezogen hat. Er legt die erste Platte auf den Teller, setzt eine frische Nadel ein und senkt den Tonarm hinunter.
Wieder spricht die Geisterstimme, versonnen und melancholisch. Seine Großmutter. Sein Blut. Joe fragt sich, ob sie ein eigenes Aufnahmegerät besessen hat. Vielleicht hat Daniel ihr eins gebaut. Er stellt sich vor, wie sie allein an ihrem Schreibtisch sitzt, und seine Fantasie fügt dem Bild auch noch ein Tintenfass und eine Feder in ihrer Hand hinzu. All das ist schon so lange her. Sie räuspert sich und spricht.
Du hast einmal gesagt, ich wüsste nichts über die wirkliche Welt, und ich erwiderte, das genaue Gegenteil sei der Fall. Nur Mathematiker sehen die Welt so, wie sie ist. Ich sehe dich vor mir, wie du abwinkst und den Kopf schüttelst, Daniel, aber es ist wahr. Ich werde es dir beweisen.
Nimm an, du hättest zwei Uhren, und du würdest die eine bei dir zu Hause auf einen Sockel stellen und die andere an Bord einer Rakete unterbringen, sie abfeuern und rund um die Erde fliegen lassen. Wenn die Rakete landet, werden beide Uhren verschiedene Zeiten anzeigen. Warum? Weil die Uhr in der Rakete näher an der Lichtgeschwindigkeit gewesen ist und in der Rakete weniger Zeit vergangen ist als in deiner Werkstatt. Das ist das am wenigsten Merkwürdige am Universum, Daniel: dass die Zeit, die den Menschen wie etwas Absolutes vorkommt, nichts dergleichen ist. Sie ist relativ.
Verstehst du noch immer nicht, was ich meine? Na schön, dann stell dir eine Katze in einer Kiste mit einer Flasche Gift vor. Jeden Augenblick kann sich die Flasche öffnen oder auch nicht. Jeden Augenblick könnte die Katze sterben. Nun: Mache zwei Fotos, eines nach dem anderen, von dem, was sich in der Kiste befindet. Schau dir zuerst das zweite an. In diesem Moment bestimmt dein Blick auf das zweite Foto, was auf dem ersten Foto zu sehen sein muss. Von unserem Wahrnehmungsstandpunkt aus fließen die Informationen rückwärts durch die Zeit. Das ist kein Witz und auch keine Schrulle, Daniel. Es ist schlicht und einfach Realität. Das Universum ist ohne uns unentschlossen – und unser Geist ist Teil von etwas, das auf einer Ebene existiert, die wir noch nicht zu verstehen begonnen haben.
Das ist die wahre Natur der Welt, die wir bewohnen. Nicht die einfache, auf die wir meistens treffen. Jeder, der dir etwas anderes erzählt, lebt in einem Traum.
Die Aufnahme hält an, und die Nadel dreht sich in einem Bogen um den inneren Kreis.
Joe lehnt sich zurück, als Frankies Aufnahme endet, und schaut sich um. Mercer sitzt auf dem Boden, Buddha-artig und unerwartet biegsam, eine Statue der Rechtswissenschaft, die mit überkreuzten Beinen und geschlossenen Augen in nachdenklicher Pose in Stein gehauen wurde. Die Bethanys haben auf dem Sofa hinter ihm eine flankierende Position eingenommen. Polly sitzt neben Joe und hat vor sich ein einzelnes Blatt Papier auf einem Clipboard aus Glas, bereit, sich mit einem weichen Bleistift Notizen zu machen.
»Die nächste«, sagt Mercer leise, bevor Joe die Frage aufwerfen kann, ob sich aus der ersten irgendetwas von Belang ergeben hat.
Es ist Polly, die die nächste Platte auswählt, und diesmal ist die Stimme nicht distanziert oder melancholisch, sondern verzweifelt vor Schmerz und Schrecken.
Sie sind alle tot, und ich habe sie umgebracht. Ich bin eine Mörderin! Ja, das bin ich. Sag nicht, es sei nicht meine Schuld. Ich habe die Maschine gebaut, oh, und ich habe so große Pläne mit ihr gehabt. Ich wollte uns alle retten! Aber ich habe einen Fehler begangen, Daniel. Ich. Ich habe irgendetwas nicht
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