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Der goldene Schwarm - Roman

Der goldene Schwarm - Roman

Titel: Der goldene Schwarm - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Knaus Verlag: Verlagsgruppe Random House GmbH
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Auch wenn es nicht derselbe Sheamus sein kann. Gewiss ein Sohn, der die Bestimmung seines Vaters fortführt.
    Und ich dachte, ich hätte es hart getroffen mit meinem Vater.
    Und dann: Bedeutet das, der Opium-Khan hätte sich geläutert oder dass sich die britische Regierung hat bestechen lassen?
    Aber das ist eine Frage, die einem vielleicht noch vor einigen Jahren sinnvoll vorgekommen wäre, doch heute glaubt niemand mehr ernsthaft an ein anständiges Verhalten seiner Regierenden.
    Gerade als Joe diesen Gedanken mit den anderen teilen will, überschneiden sich das zweite und das dritte Ereignis, und die Welt verändert sich.
    Eines davon verläuft leise und unsichtbar; eine Explosion, die ausschließlich in seinem Kopf stattfindet. Das andere Ereignis findet einen guten Meter über dem Boden statt. Beides passiert etwa zur gleichen Zeit, und so wird die seltsame, unhörbare Detonation, die Joe befällt, nicht einmal von Polly Cradle bemerkt, die sie andernfalls gewiss richtig eingeordnet hätte.
    Zwischen zwei Platten, von denen die eine verlogenerweise behauptet, von Duke Ellington zu sein, und die andere – ebenso unrichtig –, von Eddie Lockjaw Davis, ist ein einzelner Bogen glatten Rechnungspapiers geklemmt, der mit einem selbstbewussten roten Strich in zwei Spalten geteilt wurde. Der Zettel hat keinen Zeitzünder, keine Sprungfeder und keine Ananaseinkerbungen; er sieht auch eigentlich überhaupt nicht aus wie eine Handgranate. Und doch geht er in Joes Hand in die Luft und reißt ihn innerlich in Fetzen.
    Joe Spork, der explodierte Mann, kann nicht begreifen, warum alle so gelassen aussehen, bis ihm klar wird, dass keiner von ihnen die erbitterten Auseinandersetzungen zwischen Mathew und Daniel miterlebt hat und deshalb die Spalten mit Zahlen nicht als das erkennen kann, was sie sind.
    Hier, verborgen in Daniels Nicht-Jazz-Sammlung, findet sich etwas, das der alte Mann beiseitegeschafft hat. Etwas, dem er sich nicht stellen konnte? Oder etwas, das er wertschätzte und verstand, das ihm ein gewisses Maß an Frieden verschaffte?
    Wenn man diesen Zahlen Glauben schenken kann, wenn Joe die Beträge in Mathews nachlässiger Handschrift richtig interpretiert – und das kann er gewiss, schließlich hat er jahrzehntelang gegen dieselbe Strömung angekämpft –, dann hat Daniel Sporks großartiges, auf eigenen Füßen stehendes Uhrmachergeschäft, das Bollwerk, das er der Brandung der Moderne und des bedeutungslosen Konsumramsches entgegensetzte, im ganz großen Stil Miese gemacht. Der Laden hat nie, zu keiner Zeit, Gewinn abgeworfen. Nur die intravenösen Geldtransfusionen von Mathew, die auf dieser hastig hingekritzelten Abrechnung dokumentiert sind, haben es ermöglicht, die Buchführung in der Balance zu halten. Und Mathew hat es, so gut er konnte, geschafft, diese Transfusionen geheim zu halten, insbesondere vor seinem Vater, sodass Daniel weiterhin an seinen gradlinigen Weg glauben und die Entscheidungen seines Sohnes verlachen konnte.
    Mathew, der Gangster, Mathew, der Lügner, Mathew, der Dieb, hat seine Verbrecherlaufbahn aufgenommen, um das ehrliche Geschäft seines Vaters zu retten. Hat es getragen, die ganze Zeit.
    Joe starrt immer noch den Zettel an, der seine Welt vollständig ins Wanken gebracht hat, als er hört, wie Mercers Stimme ihn durch den Nebel ruft, und sich das Spiel noch ein weiteres Mal von Grund auf ändert.
    »Hey, Schlafmütze!« Joe dreht sich um, und Mercer wirft ihm die goldene Biene zu. »Sie ist warm.«
    Joe streckt die Hand aus, aber im Fangen ist er noch nie besonders gut gewesen – er war immer eher ein Kicker –, also greift er daneben. Er schießt instinktiv vor, um die Biene zu erhaschen, bevor sie auf dem Boden aufschlägt, verpasst sie aber erneut.
    Verpasst sie, weil sie nicht fällt.
    Fünfzehn Zentimeter vor seinem Gesicht funkeln ihn die Facettenaugen aus Rosenquarz an, und goldbesetzte Flügel brummen in der Luft. Sie schwirrt ganz langsam auf ihn zu und landet auf seiner Nase. Joe versucht, sie anzusehen, und zuckt zusammen. Er könnte schwören, dass er das Flüstern der goldenen Beinchen hört, als sich das Insekt über seine Wange bewegt. Bin ich in Gefahr? Und wenn ja, was kann er dagegen tun?
    Die Biene hebt wieder ab und landet erneut auf der Tischplatte, wo sie in beliebigen Mustern bienenartig herumwandert.
    Apis mechanica . Live und in Farbe. Er beobachtet sie, aber seine Gedanken sind woanders. Sein ganzer Kopf ist voll von Mathew und Daniel und dem

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