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Der goldene Schwarm - Roman

Der goldene Schwarm - Roman

Titel: Der goldene Schwarm - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Knaus Verlag: Verlagsgruppe Random House GmbH
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richtig gemacht, der Zug ist in Whistithiel zum Stehen gekommen. Jetzt sind sie tot – noch schlimmer als tot –, und ich habe keine Ahnung, warum ich am Leben bin, und ich sollte es doch nicht sein, und Edie ist gekommen, um mich zu retten.
    Ich möchte glauben, dass er es war. Shem Shem Tsien, wie ein alter, böser Traum, der meine Maschinen zerschlagen und die falschen Knöpfe gedrückt hat. Aber er war nicht hier, Daniel. Ich habe das alles selbst getan. Ich habe so viele Menschen getötet, und nun werden sie mich außer Gefecht setzen, und die Maschine wird nie existieren können, wenn ich nicht allein einen Weg finden kann.
    Ich will nicht allein sein, Daniel. Ich schicke dir etwas. Du musst es wegschließen. Niemand darf es zu sehen bekommen, denn es ist der Tod; ein Tod, wie ihn niemals jemand gestorben ist, bis ich aufgetaucht bin. Tod durch die Vorsehung, durch Kristallisation, durch Unausweichlichkeit. Ich habe ihre Seelen getötet und ihre Körper am Leben gelassen. Ich bin der schlimmste Mörder, den es jemals gegeben hat.
    Dann weint sie, bis die Nachricht zu Ende ist.
    Beinahe unwillig dreht Mercer die Platte um. Knack, pop. Krissel, plop. Knack, pop. Nach dem wilden Schrecken des Geständnisses ist dies beinahe beruhigend. Sie hören eine Weile lang zu. Schließlich fischt Mercer eine weitere Platte aus dem Koffer und legt sie auf den Teller. Die Stimme ist älter, und gnädigerweise fehlt das Entsetzen, auch wenn an seine Stelle ein tiefgreifendes Bedauern getreten ist, ein Kummer, der sich in die Seele eingegraben hat und niemals wieder verschwinden wird.
    Ich gestehe, dass ich geglaubt habe, du seist ein Idiot. Ja, Daniel, ich weiß, du hast mir niemals Grund dazu gegeben, und ich bin eine ungeduldige alte Schachtel. Ich bin, wie ich bin und was das Leben aus mir gemacht hat. Ich versuche, mich zu bessern.
    Du hast recht gehabt. Ich habe die Wirkung der Maschine verstärkt, damit sie ein größeres Gebiet abdecken konnte, und das hat sie zu stark werden lassen für den menschlichen Geist.
    Pause.
    Ich kenne jetzt die Lösung. Wie es funktionieren kann. Ich wusste es sogar schon, während es passierte, aber es war zu spät. Die Lösung lautet Weitermeldung . Man braucht ein großes Netzwerk, damit das Signal ganz zart bleiben kann und doch die ganze Welt umspannt.
    Erinnerst du dich noch, wie wir uns auf dem Feld vor dem Haus meiner Mutter geliebt haben? Und wie du von einer Biene in den Hintern gestochen wurdest und um sie getrauert hast, weil, wie du sagtest, die Bienen Wesen der Schöpfung seien und, da sie nur einmal zustechen können, auch selten angreifen? Dass dies der Grund sei, warum beinahe jede Kultur auf der Erde die Biene verehrt und die Wespe hasst?
    Mach mir eine Biene, Daniel. Nur eine. Mach mir eine grandiose Biene, die die Menschen lieben werden, und ich werde etwas Wundervolles erschaffen. Bienen werden die Boten meiner Wahrheit sein. Sie werden sich auf der ganzen Welt ausbreiten und alle miteinander verbinden.
    Lass sie wunderbar sein, Daniel. Lass sie wild und schön sein. Das, was ich jetzt erbaue, muss so viel mehr sein als eine Maschine .
    Polly Cradle grinst. Joe auch. Mercer schaut sie beide mit gerunzelter Stirn an.
    »Was?«, sagt er. »Jetzt erzählt mir nicht, wie schön das ist, dass sie sich immer noch geliebt haben. Dann wird mir nämlich schlecht.«
    »Nein«, sagt Polly. »Ich habe bloß gedacht: Vielleicht ist es gar keine Katastrophe. Die Bienen. Die Maschine. Vielleicht ist es ja etwas Gutes, was jetzt passiert, und wir müssen nur abwarten.«
    Joe nickt. Mercer nicht. Er öffnet den Mund für einen Einwand, aber dann passieren drei Dinge hintereinander, und was immer er auch sagen wollte, spielt keine Rolle mehr.
    Als Erstes kehrt Bethany Nummer drei zurück und übergibt einen dünnen Aktenordner an Polly, die ihn missbilligend anschaut und dann auf dem Tisch ausbreitet.
    Zwei Fotografien, frisch abgezogen von alten Bildern, wahrscheinlich aus Magazinen oder Zeitungen: Die erste zeigt ein höchst attraktives Matinee-Idol mit hoher Stirn, das leicht in die Kamera lächelt. Auf der zweiten ist sein älterer Bruder zu sehen, mit grimmigem Gesicht und silbernem Haar, der böse unter der Kapuze eines Umhangs hervorblickt.
    »Shem Shem Tsien«, sagt Polly Cradle, »auch bekannt als der Opium-Khan. Und das ist Bruder Sheamus vom Orden von John, dem Werker. Das ist ein Foto von ihm aus der Zeit, bevor sie alle anfingen, Schleier zu tragen.«
    Ja. Derselbe Mann.

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