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Der goldene Schwarm - Roman

Der goldene Schwarm - Roman

Titel: Der goldene Schwarm - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Knaus Verlag: Verlagsgruppe Random House GmbH
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Außenwänden angebrachten Rohrleitungen. Und manchmal sind natürlich auch Klempner mit dem Einbrecherhandwerk vertraut … Metallrohr. Nicht älter als drei Jahre. Fest verschraubt: sehr schön.
    Er umklammert das Rohr, um sich daran herunterzuhangeln. Es knarrt, aber es hält, und er erreicht unten einen Fußweg, der zu einem anderen Wohnblock gehört. Eine holprige Landung auf Beton. Ein schwacher Geruch, dessen Ursprung besser nicht geklärt wird. Spanholztüren und Graffiti. Eine Frau kommt mit ihren Einkäufe um die Ecke und zuckt zusammen, als sie ihn erblickt. (Tja, in der Tat: Wie ist er hierhergekommen? Das ist eine berechtigte Frage.) Er tippt sich mit den Fingern an die Stirn, als wolle er den Hut vor ihr ziehen, und sie beruhigt sich. Er widersteht dem Drang, ihr die Einkäufe raufzutragen, verschwindet in einem dreckigen Betonkorridor und folgt ihm bis zu einem Treppenhaus am anderen Ende. Die Tür davor muss er nicht einmal aufbrechen – sie ist ums Schloss herum vollständig verrostet.
    Im Inneren noch mehr Gerüche: Bleichmittel, Sprühfarbe; alt gewordene Haustiere; Marihuana und Weihrauch. Joe schaut aus dem verdreckten Fenster und sieht unter sich den gläsernen Durchgang, der das darunter liegende Stockwerk – ein Einkaufszentrum – mit einem Bahnhof verbindet.
    Woher weiß er das alles? Er hat den Weg von Grund auf ausgetüftelt und ihn auswendig gelernt, für den Fall, dass er irgendwann, warum auch immer, hierherkommen muss, ohne irgendwelche Beobachter auf sich aufmerksam zu machen. Sein Nachtmarkt-Ich, geschmäht, aber nie ganz aufgegeben, hat den Eingang ausgekundschaftet. Er ist London abgelaufen, hat Pakete ausgetragen, ist schwermütig umhergewandert und hat sich dabei stets mögliche Fluchtwege und Schlupflöcher eingeprägt, ohne es sich jemals selbst einzugestehen. Um bereit zu sein. Für das hier.
    Er schlägt mit dem Ellbogen gegen den Fensterriegel, ein scharfer Knall, und er bricht auf. Joe schlängelt sich hindurch und lässt sich hinunter.
    Das Glasdach gibt unter seinen Füßen leicht nach. Einen Augenblick lang glaubt er, es würde einbrechen. Er schaut nicht nach links und rechts und wünscht sich, er würde Gummisohlen tragen. Seine sind aus Leder, sind zu glatt für die mit Schlick bedeckte Oberfläche, und unter dem Verbindungsdurchgang geht es tief hinunter. Nicht, dass er hinunterschauen würde. Er setzt langsam einen Schritt vor den anderen. Zu rennen wäre ein Fehler. Trotzdem versucht er, sich zu beeilen.
    Joe steigt auf das Dach des Bahnhofs und hangelt sich an der Regenrinne entlang. Der Bahnhof ist zweihundert Schritte lang. Er zählt jeden einzelnen davon. Und dann liegt der Dachvorsprung des Konvents direkt unter ihm, vielleicht drei Meter tief, aber es sieht tiefer aus, nicht zu vergessen die knapp anderthalb Meter breite Lücke zwischen den Gebäuden. Umkehren ist unmöglich, ohne ein schlimmes Unglück zu riskieren. Er fragt sich, ob er sich umdrehen sollte, oder ob es besser wäre, sich einfach mit den Armen zusätzlichen Schwung zu geben, aber dann befindet er sich auch schon im freien Fall und denkt Oh Scheiße , und es bleibt ihm gerade noch Zeit genug für die Überlegung, dass dies eine ziemlich seltsame Art ist, seine Mutter zu besuchen. Dann landet er, taumelt zurück. Ihm bleibt die Luft weg. Er liegt auf dem Vorsprung und fragt sich, ob er nicht einfach hätte anrufen können.
    Quatsch. Von wegen! Der Fassadenkönig, meine Freunde. Bezwinger des fünften Stocks. Jawohl!
    Die Tür, die von der Brüstung zum Konvent führt, ist verschlossen. Womöglich haben die Nonnen oft Ärger mit Einbrechern. Wahrscheinlicher ist, dass sie es einfach sehr genau nehmen. Vielleicht hat auch Schwester Amelia hinter sich abgeschlossen, die freundliche, aber unfassbar alte Dame, die früher in einem Club auflegte und sich hier draußen gern noch eine Fluppe und ein Schlückchen genehmigt, bevor sie zu Bett geht.
    Joe verschafft sich Zutritt.
    Er ist noch nie zuvor im obersten Stock gewesen, weiß also nicht, was ihn erwartet. Kurz schießt ihm durch den Kopf, dass hier ja durchaus ein geheimes Bordell für Bischöfe mit gewissen Bedürfnissen untergebracht sein könnte. Auch ein Casino oder eine Schwarzbrennerei für gelangweilte Anglikaner kämen infrage. Dann späht er den traurigen, grün gestrichenen Flur hinunter und weiß, dass es nichts derart Gewagtes zu sehen gibt. Es ist bloß ein sehr stiller, sehr einsamer Ort, an dem Menschen, die sich zu diesem

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