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Der goldene Schwarm - Roman

Der goldene Schwarm - Roman

Titel: Der goldene Schwarm - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Knaus Verlag: Verlagsgruppe Random House GmbH
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getan?«
    »Oh, Joe, das sind alte Sünden. Alte Schatten. Es ist besser, sie werden nicht ans Tageslicht geholt.«
    »Nun, das wurden sie bereits. Was hat sie da unten gebaut? Wobei hat Daniel ihr geholfen?«
    »Sie hat ihn angelogen. Sie behauptete, es sei ein großartiger Mechanismus, um die Welt zu heilen. Sie glaubte, die Wahrheit würde alles in Ordnung bringen, dass sie ein neues Utopia herbeiführen würde. Erlösung durch die Wissenschaft, das war damals der Glaubenssatz. Dabei erwächst Erlösung aus der Seele, und sie ist das Geschenk Gottes. Aber Daniel … er sagte natürlich: Gott hilft denen, die sich selber helfen. Er sagte, von allem unter der Sonne könne man etwas lernen. Er sagte, Gott wolle, dass wir danach streben, mehr zu sein, als wir sind, und dass dies ein Teil dieses Strebens wäre. Es war alles so edel. Der Teufel, der aus der Liebe eine Sünde macht.«
    »Was für eine Sünde? Was war so schrecklich daran?«
    Harriets Finger suchen an ihrem Hals nach dem Kreuz, das sie trägt, und ihre Lippen bewegen sich in flüsternd ausgestoßenen Gebeten. Religiöse Hingabe. Eine Angst vor der Häresie. Eine obsessive, zwanghafte Störung vielleicht, die um den Glauben herum aufgebaut wurde. Joe versteht es nicht, hat es nie verstanden. Sie nimmt seine Hand, drückt sie mit plötzlicher Erbitterung.
    »Es war wie eine Gebetsmühle, wie sie sie in Tibet haben. Eine Maschine zur Anbetung, und sie bestand ganz aus Gold, wie in den alten heidnischen Tempeln in der Bibel. Sie betete zur Hölle.«
    »Mum …«
    »Nein! Nein, Joe, du hast gefragt, und ich erzähle es dir. Es ist ein abscheuliches Ding. Es ruft all die alten Ungeheuer herbei, vom Anbeginn der Schöpfung. Und sie wusste es! Sie wusste es. Einmal hat sie sie geöffnet, und dann ist der Teufel gekommen und hat sich all diese Seelen geholt. Auch unschuldige. Sie hat es ihm erzählt – und trotzdem! Trotzdem hat er sie geliebt! Oh, sie war heimtückisch, mit ihren großen französischen Augen, den endlosen Ausflüchten und ihrem ewigen Verschwinden. Und dann stand sie wieder auf der Türschwelle und sagte bloß: ›Ich muss mit ihm reden.‹ Und niemals ein Wort für Mathew. Immer ging es um sie. Sie. War. Böse! Und natürlich wollte keiner auf mich hören!«
    Harriet funkelt ihren Sohn wütend an. Sie will, dass er ihr glaubt, es endlich versteht. Ihre Welt ist nun zu vier Fünfteln in Finsternis getaucht, und was übrig bleibt, liegt auch schon im Schatten. Bevor sie den letzten Schritt unternommen, ihr Gelübde abgelegt und den Gang durch diese Pforten angetreten hatte, war sie einmal früh nach Hause gekommen und hatte ihn nicht gefunden. Als er eintraf, entdeckte er sie weinend in einer Ecke, überzeugt davon, dass der Tod und die Entrückung gekommen und wieder verschwunden waren und sie zurückgelassen hatten – dass Gott ihren prächtigen Jungen zu sich genommen und sie selbst wegen ihrer Sünden und ihrer mangelnden Reue zurück auf den Haufen geworfen hatte.
    Joe Spork sitzt und wartet darauf, dass der Ausbruch vorbeigeht. Es ist nicht gut – war es nie –, einzuwenden, dass dies nicht nach dem Werk eines wohlmeinenden, liebenden Gottes klingt; dass das Universum, an das sie glaubt, mehr an einen Horrorfilm erinnert, in dem Vampire wie Spinnen die Regenrinnen heraufhuschen.
    Kurz stellt sich ein Bild vor seinem geistigen Auge ein – zerknitterte Stoffgesichter, die ihn aus den Fenstern eines schwarzen Transporters aus ansehen. Er blickt zum Fenster, sieht sein eigenes Spiegelbild in der Scheibe und hat plötzlich Angst, dass eine große, wie ein Reiher gebückte Gestalt mit schwarz verschleierten Fingern hinter ihm auftauchen und nach ihm greifen wird. Er lauscht auf das Geräusch eines seltsam kratzenden Atems. Er kann eine Gegenwart im Raum spüren, das beunruhigende Gefühl, dass jemand hinter ihm im toten Winkel steht. Spinnenhände, die Fäden hinter sich herziehen.
    Er dreht sich um.
    Und sieht Harriet, die auf der Kante ihres Bettes sitzt und ihn zum ersten Mal in einer langen Zeit im vollen Bewusstsein ihres miteinander geteilten Lebens anschaut. Hier und jetzt ist sie seine Mutter und sonst nichts.
    »Hast du bei Cradles angerufen?«
    »Natürlich.«
    Sie nickt und fährt sich mit einer Hand über den Mund. Dann wiegt sie nachdenklich den Kopf. »Aber du bist hier. Du hast dich hier reingeschlichen. Du tust also nicht, was man dir gesagt hat.«
    »Ich hab es getan.« Er fragt sich, ob er ihr erzählen soll, dass er

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