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Der goldene Schwarm - Roman

Der goldene Schwarm - Roman

Titel: Der goldene Schwarm - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Knaus Verlag: Verlagsgruppe Random House GmbH
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womöglich gerade dabei ist, sich in Mary Angelica Cradle zu verlieben.
    »Und es geht um Frankies Maschine?«
    »Ja.«
    »Du brauchst den Nachtmarkt, Joe.«
    »Der steht mir nicht offen. Hat er nie. Ich bin ein Uhrmacher.«
    Sie schnauft. »Du bist mein Sohn. Mathews Sohn. Der Markt gehört dir, wenn du willst. Wenn du dich dazu entschließt, ihn zu übernehmen.« Sie lässt sich auf den Boden herab, wo ihre Knie in zwei glänzende Abwetzungen gleiten; Spuren ihrer täglichen Rituale. Er starrt sie an. Wenn sie jetzt betet, wird sie nicht aufhören, bis er geht. Dann wird sie nicht mehr mit ihm sprechen. Er hat das schon früher erlebt, wenn sie wegen ihrer Entscheidung miteinander gestritten hatten, wenn er sie darum gebeten hatte, das Kloster zu verlassen und wieder seine Mutter zu sein.
    Aber diesmal legt sie sich ganz flach mit dem Gesicht auf den Boden und greift so auf ziemlich unkonventionelle Weise nach einer kleinen Metallschachtel, die zwischen dem Bettrahmen und der Matratze eingeklemmt ist. Sie reißt sie ruckartig heraus, setzt sich auf und sieht zufrieden aus.
    »Hier«, sagt sie. »Das gehörte Mathew. Vielleicht ist es für dich bestimmt.«
    Es ist eine verschlossene grüne Geldkassette, wie sie Joe als Kind in jedem Laden gesehen hat, vielleicht fünfzehn Zentimeter lang und zwölf breit, mit einem kleinen Metallgriff und einem Schlitz für Münzen.
    »Was ist darin?«, fragt er.
    »Ich weiß es nicht, Joshua«, erwidert Harriet. »Ich habe sie nie geöffnet. Ich habe keinen Schlüssel. Aber das wird dich nicht aufhalten, oder?« Sie lächelt grimmig.
    Er schüttelt die Kassette. Es rasselt, Metall auf Metall, und etwas Festes macht Fwfp , etwas Dickes und Hartes. Vielleicht eine Schachtel in der Schachtel.
    »Danke schön«, sagt er und will sie wieder umarmen. Bevor er dazu kommt, ertönt von draußen ein Krachen wie von einem Verkehrsunfall oder eher von einer Massenkarambolage, und dann schrillen Alarmanlagen los. Eine alte Frau mit hellen Augen in einem strengen grauen Kostüm streckt ihren von Nonnentracht bedeckten Kopf zur Tür herein, ohne vorher anzuklopfen.
    »Es tut mir so leid, Sie zu stören«, sagt sie. »Aber ich glaube, Sie kommen besser mit mir.«
    »Warum?«, fragt Joe.
    »Weil Ihre Feinde gerade die Vordertür eingeschlagen haben und ich annehme, dass sie vorhaben, Sie mitzunehmen.«
    Harriet starrt sie an. Die andere Frau verzieht das Gesicht. »Beeilen Sie sich bitte.« Erst als sie ganz in den Raum tritt und Joe sieht, dass sie einen kleinen, scheußlich aussehenden Hund unterm Arm trägt, erkennt er in ihr seine ehemalige Kundin. Er braucht den Bruchteil einer Sekunde, um den großen, altmodischen Revolver in ihrer anderen Hand zu bemerken.
    »Sie!«, knurrt Joe die Urheberin all seines Elends an.
    »Ja«, sagt Edie Banister. »Ich denke, dass ich nun wohl zugeben muss, dass ich im wahren Sinn des Wortes keine Nonne bin.«
    Edie Banister führt sie den Flur hinunter, während sich in den unteren Stockwerken irgendetwas Lautes und Wütendes ereignet. Nonnen brüllen – sie kreischen nicht, sondern brüllen, streng und zornig und sehr davon überzeugt, im Recht zu sein –, aber diese einschüchternden Stimmen werden von etwas überdeckt, das sich anhört wie ein kollektiver, rasselnd eingesogener Atem. Wo Empörung und Wut wachsen sollten, werden sie nun zu einem Flüstern der Bestürzung reduziert.
    Von ganz oben im Treppenhaus blickt Joe nach unten und sieht eine Gruppe von dicht zusammengedrängten Schwestern. Die Nonne ganz vorn hat einen Finger in anklagender Geste erhoben, aber sie kommt bereits ins Stocken, und der wütende Finger dient plötzlich nur noch der Abwehr. Sie hat Angst.
    Eine einzelne Gestalt stürzt an ihr vorbei: ein schwarz gewandeter Werwolf auf der Jagd. Breite Schultern drängen die Nonnen beiseite, der animalische Kopf dreht sich hin und her, sucht die Beute. Edie Banister schnappt Joe kurzerhand am Kragen und zieht ihn mit sich zurück.
    »Spielen Sie hier nicht den verschissenen Touristen«, zischt sie wütend. »Wir müssen hier weg, junger Mann. Oder hat Ihnen Ihr Daddy das nicht beigebracht? Erst kommt das Verpissen, dann das Sightseeing!«
    »Er hat mir auch gesagt, ich solle nie kneifen«, erwidert Joe Spork giftig, während er ihr durch einen schmalen Korridor folgt.
    »Oh, klar, das glaube ich sofort. Aber hat er damit gemeint, dass Sie die Stellung halten sollen, wenn Sie definitiv unterlegen sind? Oder meinte er: Rückzug, neue

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