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Der goldene Schwarm - Roman

Der goldene Schwarm - Roman

Titel: Der goldene Schwarm - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Knaus Verlag: Verlagsgruppe Random House GmbH
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von Samson im Tempel ist der perfekte Rückzugsort, ein verwinkeltes Labyrinth voller verborgener Plätze zur inneren Versenkung, voller Rosenbeete, Sackgassen und Alkoven. Edie Banister huscht in einen kleinen Kräutergarten hinein, durch ihn hindurch und am anderen Ende wieder hinaus, macht auf einem von Lorbeerbäumen gesäumten Weg kehrt und verschwindet dann in einer engen Lücke zwischen einem Gewächshaus und einem Geräteschuppen. Dabei läuft sie immer in Richtung der Außenmauer und achtet darauf, dass Weggabelungen und Abzweigungen zwischen ihnen und ihren Verfolgern stehen, womit sie den Feind dazu zwingt, sich entscheiden zu müssen und zu zögern. Als Joe innehält, um nach Luft zu schnappen, und einen Blick über die Schulter wirft, greift sie erneut nach ihm, zieht ihn auf einen weiteren sich wild schlängelnden Lorbeerbaumweg, und plötzlich stoßen sie auf die rückwärtige Mauer aus roten Backsteinen, die mit unchristlichen dreispitzigen Sternen besetzt ist, die scharfe Kanten haben und aggressiv die Privatsphäre der Nonnen sichern.
    Edie reicht Harriet den Hund, lässt ihre Hand in ihre Tasche gleiten und knallt dann eine kleine Tupperdose gegen die Mauer. Sie bleibt dort kleben.
    »Los, kommt«, sagt sie und geht hinter einer kleinen Steinkapelle in Deckung. Als Joe zögert, schlägt sie ihm mit der Hand auf den Rücken, um seine Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, und nutzt seine Verblüffung, um ihn gefügig zu machen. Als auch er in Deckung geht, sieht er entsetzt, wie die Ruskiniten-Jäger die Lorbeerbüsche durchforsten, hoch aufragende schwarze Schatten, die, widerwärtig knochenlos, ausholen und zustoßen. Sie drehen sich umeinander herum und richten ihre Aufmerksamkeit dann gleichzeitig auf die Kapelle. Der vorderste Ruskinit macht einen staksenden Schritt voran. Edie reißt Joe herunter und steckt sich die Finger in die Ohren.
    Die Welt ist eine große Pauke, und der Dirigent hat dem Schlagzeuger gerade das größte Nicken seiner Laufbahn gegeben.
    Der Himmel ist weiß.
    Joe blutet die Nase. In seinen Augen ist Staub.
    Als er sich aufrichtet, ist die hintere Wand verschwunden. Die Ruskiniten ebenfalls. An ihrer Stelle ist nur noch ein Krater zu sehen, schwarz und verkohlt, und es liegt der Geruch von Phosphor und Salpeter in der Luft.
    »Selbst gemacht«, sagt Edie Banister glücklich, eine bald Neunzigjährige mit schlechten Manieren und erstklassigen Kenntnissen exothermer Reaktionen. »Ich glaube, ich habe es mit dem Nitro ein bisschen übertrieben und etwas zu viel Toluol genommen. Aber wie auch immer: Viel hilft viel, was?«
    Durch den Garten von Samson im Tempel zieht sich eine breite Schneise.
    Sie schaffen es bis zu dem Wagen, den Edie Banister geknackt hat. Das Team Spork – Harriet, Joe und ihre neue Freundin – unternimmt die Flucht des Jahrzehnts, ein Musterbeispiel einer halsbrecherischen Aktion mit Extrapunkten für hohes Alter, Gebrechlichkeit und Spontaneität. Edie hofft, irgendwer wird es irgendwo zur Kenntnis nehmen und es an die jüngere Generation weitergeben. Die Banister-Methode: ausweichen, Widerstand leisten, fliehen und überleben.
    Und dann füllt sich die Straße wie aus dem Nichts mit heranrasenden, trippelnden Gestalten, mit einer schwarz gewandeten Spinnenplage. Sie strömen aus den Türen der benachbarten Häuser und aus parkenden Autos, fünf, zehn, zwanzig, eine Myriade von nickenden Köpfen und ausgestreckten Händen. Joe Spork starrt sie an, stellt sich vor Harriet und Edie und sieht, wie sie alle, bis auf den Letzten, ihre Augen auf ihn richten. Er erstarrt unter ihrem Blick. Er spürt bereits im Inneren die Patronensalven, das schreckliche Pling , wenn sein Herz zerreißt. Er schwankt. Die Ruskiniten schnellen vor.
    Die erste Welle versucht, sich Harriet zu schnappen, aber Edie Banister bedroht sie mit ihrem Revolver, und sie gleiten davon, geben die Schusslinie frei. Die zweite Welle nähert sich aus nördlicher Richtung und versucht, sie vom Wagen abzuschneiden, eine geisterhafte Trennlinie. Joe hat sich wieder so weit im Griff, um seine Arme zu einer Art Kampfstellung hochzureißen, und zwingt sie dazu, es mit ihm aufzunehmen. Sie zögern und ziehen sich zurück, aber dann schiebt sich die dritte Welle quer durch die zweite und reißt ihn fort. Mit Eisen umwickelte Finger und verschnürte Muskeln umklammern seine Arme und Beine und zerren ihn auf die Ladefläche eines Transporters. Hinter sich kann er sehen, wie sich das sanftmütige Gesicht

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