Der goldene Schwarm - Roman
Gefechtsstellung und den Kampf wieder aufnehmen?«
Polly und ich sind deine einzigen Freunde . Aber irgendwie scheint dieser Rat nicht für diese Situation gedacht gewesen zu sein. Joe brummt: »Ich vertraue Ihnen nicht.«
»Gut! Dann sterben Sie vielleicht nicht. Aber für den Moment halten Sie die Klappe, und machen Sie, was die nette alte Dame Ihnen sagt. Oder lassen Sie’s drauf ankommen.«
Er murmelt irgendwas zwischen Beschwerde und Zustimmung, und Edie schenkt ihm einen Augenblick lang ein hinreißend aufmunterndes Lächeln. Dann nimmt sie ihm mit großer Selbstverständlichkeit die grüne Geldkassette aus der Hand und verstaut sie in ihrer Tasche. Als Joe protestieren will, herrscht sie ihn an: »Wir wollen doch nichts Wichtiges verlieren unterwegs! Jetzt kommen Sie schon! Hier herunter«, woraufhin sie sich in eine Treppenflucht ducken, die sogar noch enger ist als der Korridor. Joe hat das Gefühl, ein Wunderland zu betreten, das eigens dazu erbaut wurde, von kleinen alten Damen bewohnt zu werden, und hofft, dass er nicht wird schrumpfen müssen, um zu überleben. Dann grinst er, denn genau damit kennt er sich ja aus, und zufrieden – wenn auch verstört – stellt er fest, dass er inzwischen ein anderer geworden ist.
»Wohin gehen wir?«, will Harriet wissen.
»Es ist Ihr Konvent«, erwidert Edie.
»Dieser Weg führt zum Küchengarten.«
»Das hatte ich mir gedacht, ja.«
»Da gibt es keinen Ausweg. Der Garten ist von Mauern umgeben, und es gibt kein Tor.«
»In Kürze wird es eins geben.«
»Was?«
Edie Banister antwortet nicht – sie streckt nur den Hals in einer Weise, die klarmacht, dass Antworten ein Luxus sind, die Zeit drängt und Nonnen etwas demütiger und etwas weniger vorlaut sein sollten.
Harriet nickt. Joe hat noch nie erlebt, dass sie so schnell einknickt, und vermutet, dass er es bei Edie Banister mit einer wahren Meisterin zu tun hat. Der Hund ohne Augen ist allerdings auch ein unfairer Vorteil, das Schrullige-alte-Damen-Äquivalent einer Atombombe.
Dass die Einwilligung seiner Mutter etwas mit der Gefahr zu tun haben könnte, in der er gerade schwebt, oder dass ihr die Situation dank dem Halbdutzend Hals-über-Kopf-Fluchten, die sie seinerzeit mit seinem Vater unternehmen musste, merkwürdig vertraut sein könnte, kommt ihm erst in den Sinn, als sie den Fuß der Treppe erreicht haben.
Die Tür, die nach draußen zum Garten führt, ist ziemlich verrottet und hinfällig. Zahlreiche Gummistiefel in verschiedenen Größen stehen aufgereiht an der Wand. Bastion saugt neugierig schnüffelnd den verführerischen Geruch ein, als hinter ihnen ein Geräusch ertönt, das einer hydraulischen Presse ähnelt: ein leises, sehr kraftvolles Entweichen von Luft.
Am Treppenabsatz über ihnen kauert ein Ruskinit. Er ist vom vierten Stock aus gesprungen oder gefallen und auf seinen Füßen gelandet. Seine Arme sind ausgestreckt, als wolle er nach etwas greifen, und sein Kopf zuckt auf den Schultern vor und zurück, als nähme er Witterung auf. Eine Sekunde später erblickt Joe einen weiteren, der, ohne jede Anmut, wie ein leerer Sack durch die Luft gleitet und neben dem Ersten landet. Er scheint auf dem Boden aufzukommen, als wäre er bloß ein Kleiderbündel mit Stöcken im Inneren, doch Sekunden später steht er wieder aufrecht, rollt mit den Schultern und berührt kurz den Ersten in einem seltsamen, physischen Wiedererkennen. In keiner Weise eine menschliche Geste; arachnoid oder eidechsenartig. Dann breiten beide ihre Arme in derselben Ringerstellung aus und drehen ihre Köpfe in seine Richtung. Völlig synchron torkeln sie auf die Treppe zu.
Edie Banister schnappt sich Joes Hand und zieht ihn energisch in den Garten. Harriet ist ihnen einige Schritte voraus, bewegt sich aber selbst in größter Eile nur langsam. Als Joe aufschließt, hebt er sie hoch und wird dafür beinahe mit einem Ellbogen in seinem Auge belohnt, bevor ihr klar wird, dass er es ist. Edie nickt zustimmend und rast, agil wie ein Schäferhund, an ihnen vorbei. Joe wirft einen Blick zurück und sieht, wie die Ruskiniten aus der Tür taumeln, im wahrsten Sinne des Wortes einer über dem anderen. Sie bleiben starr stehen, und einen Moment später gesellt sich ein Dritter zu ihnen. Wieder berühren sie einander, es folgen dieselbe eigenartige Spinnenumarmung und das Nicken, dann schnellen sie vor, eilig, kraftvoll und unheimlich lautlos. Joe drückt Harriet an seine Brust und rennt wie der Teufel.
Der Garten des Konvents
Weitere Kostenlose Bücher