Der goldene Schwarm - Roman

Freundschaft, die trotz minimaler Pflege und ohne offenkundige Gemeinsamkeiten Bestand hat. Als Freund ist Billy einfach ein Teil von Joes Leben, unpassend und vertraut und am Ende unentbehrlich.
    Wenn es um Billy, den Geschäftsmann, geht, wird die Sache schon heikler, denn dann kommen meistens undurchschaubare Eigentumsrechte und steuerfreie Unter-der-Hand-Jobs mit ins Spiel. Heute aber ist Joe so unklug gewesen, das Telefon abzuheben, ohne vorher nachzuschauen, wer anruft. So hat es ihn ganz unvorbereitet erwischt, und deshalb sitzt er nun in diesem speckigen Laden und trinkt dickflüssigen Orangentee. Doch trotz seiner typischen Paranoia scheint sich die Sache am Ende vielleicht doch zu lohnen, schließlich muss Joe zugeben, dass er zurzeit leichte Geldschwierigkeiten hat, und wenn Billy Friend nicht gerade versucht, ihm einen Pub anzudrehen oder ihn an einem dubiosen Plan bezüglich einer lettischen Modelagentur zu beteiligen, ist er eine gute Quelle für gewinnbringende Aufträge.
    »Was für eine Art Auftrag?«, fragt Joe vorsichtig.
    »Nun, Joseph« – Billy ist gern förmlich, wenn er einen übers Ohr haut –, »es handelt sich um … und dann auch wieder nicht , du verstehst … es ist nämlich ein zweideutiges und eigentümliches Objekt, weshalb ich auch gleich an dich gedacht habe … es handelt sich um etwas, das man ohne Angst vor sofortigem Widerspruch und zugleich ohne die volle Wahrheit auszusprechen … ein Dingsbums nennen könnte. Aus einem Nachlassverkauf.«
    Nachlassverkauf bedeutet aller Wahrscheinlichkeit nach Diebesgut. Wenn er nicht gerade mit geklauten Antiquitäten handelt und die Töchter von Provinzgastwirten verführt, gehört Billy Friend eigentlich zu der ehrenwerten und beständigen Bruderschaft der Bestattungsunternehmer. Deshalb sitzt er auch an der Quelle, wenn es darum geht, an Nachlässe zu kommen, noch bevor ihr eigentlicher Verkauf beginnt. Trotzdem geht Joe nicht automatisch davon aus, dass Billy bei den Hinterbliebenen kauft, denn eines seiner Betätigungsfelder besteht im freiberuflichen Ausspähen von potentiellem Diebesgut für Einbrecher in London und Umgebung.
    »In Sachen Dingsbums bin ich gut versorgt, Billy«, sagt Joe. »Mein Leben ertrinkt geradezu in Dingsbumsen. Inwieweit unterscheidet sich dein Dingsbums von den Dingsbumsen anderer Leute?« Zu spät bemerkt er, dass Billy ihn in die Falle gelockt hat.
    »Nun, Joe, man will sich nicht brüsten …« Gefolgt von einem gewaltigen Lachen, das alle Köpfe herumschwenken lässt, vor allem den Kopf der jungen, flirtbereiten Kellnerin, um deren persönliche Aufmerksamkeit sich Billy Friend von dem Moment an bemüht hat, in dem sie sich hier niedergelassen haben.
    »Billy …«
    »Es ist ein Buch, Joseph.«
    »Ein Buch.«
    »So eine Art, ja.«
    »Dann verschwendest du deine Zeit. Ich kann mit Büchern nichts anfangen. Ich meine, ich mag Bücher. Bücher sind was Gutes, und wir sollten alle wieder mehr lesen. Aber ich bin kein Buchbinder, Papierspezialist oder Restaurator. Ich kann dir bei einem beschädigten Buch nicht weiterhelfen.«
    »Bei diesem schon.«
    »Ist es ein Buch mit Spieluhr?«
    »Ganz genau.«
    »Wenn es nämlich kein Buch mit Spieluhr wäre, könnte ich nicht viel damit anfangen, nicht wahr?« Joe hält inne. Dieser letzte Teil ihres Wortwechsels ist doch ganz anders verlaufen, als er es sich vorgestellt hatte.
    »Was meinst du mit ganz genau ?«
    Billy streckt die Arme in die Luft, um die Grandiosität seines Angebots anzudeuten. »Das Stück ist eine Kombination aus Buch und Gerätschaft. Der Textteil ist voller Stockflecken, sonst aber ganz akzeptabel, hübscher Ledereinband, sieht aus wie ein Tagebuch. Das Eigenartige daran ist, dass außen an den Seiten so eine Art Raster eingepresst wurde, sodass es aussieht, als würde das Buch als eine Abfolge von Lochkarten funktionieren. Man könnte es sich als das Äquivalent von der Trommel in einer deiner Spieluhren vorstellen. Klar?«
    Joe nickt beipflichtend. Billy fährt fort und wedelt nachdrücklich mit den Händen.
    »Und in derselben alten Kiste, in der das Buch gefunden wurde, befindet sich ein Haufen von schmuddeligem, zerlegtem Kleinkram, der, unter den richtigen Umständen und durch die Einwirkung eines geschickten Handwerkers, wie du einer bist, eine Art Mechanismus ergeben könnte, der, wie eine genaue und fachmännische Betrachtung von mir ergeben hat, am Buchrücken angebracht werden kann. Außerdem gibt es da ein Teil, das ich mal als