Der goldene Schwarm - Roman
zurückkehren zu können. Er lächelt. Ja. So sollte es sein.
Nur dass es nicht so ist. Ted liegt bloß da, und Ted ist tot.
Mr Ordinary hat noch einen weiteren Brief für ihn. Diesmal scheint er ganz besonders zufrieden mit sich selbst zu sein.
Lieber Joe,
es tut mir sehr leid. Es sind nun schon Monate, und ich weiß nicht, wo du bist. Ich mag dich wirklich gern, aber ich kann nicht ewig warten. Ein Mann namens Peter führt mich heute Abend zum Essen aus. Ich mache weiter. Bitte hasse mich nicht.
Polly x
Joe liegt auf dem Rücken und weigert sich, etwas zu sagen, also verfrachten sie ihn in seinen winzigen weißen Raum und schütteln ihn so lange durch, bis er nur noch ein einziger krampfender Muskel ist. Er beginnt, sie auszulachen, weil sie so vorhersehbar sind. Der Schmerz lässt ihn nur noch mehr lachen, selbst als die Elektroden zu heiß laufen und ihn verbrennen, aber dann will er ganz plötzlich, dass es aufhört – mehr als er sich erinnern kann, jemals etwas gewollt zu haben. Er will nicht über den Geruch seiner eigenen versengten Haut lachen. Er will nicht verrückt werden. Will sich nicht zu Ted Sholt gesellen und auf dem Wagen von Daniels lächerlicher, entsetzlicher Uhr hocken.
Mit besonderer Sorgfalt.
Daniel, der den Schlüssel verwahrte zur Zerstörung der Welt.
Besondere.
Sorgfalt.
Er weiß, wo die Kalibrierungstrommel zu finden ist.
Er spürt, wie sich etwas in seiner Brust zusammenzieht und dann ganz plötzlich entspannt, und dann hört er den Reanimationsalarm. Ein seltsamer Frieden hat von ihm Besitz ergriffen, kalt und eigenartig, und ihm wird klar, dass er sein Herz nicht hören kann.
Und dann, von einem Moment zum anderen, ist er nicht mehr in seiner Zelle.
Es ist, als hätte jemand das Licht angeschaltet, und alle Schatten wären verschwunden. Der weiße Raum ist nicht mehr da. Er fühlt sich gar nicht so schlecht. Gut sogar. Ein wenig gelangweilt.
Ihm ist klar, dass sein Ende eine Art Segen für ihn ist. Es scheint jedenfalls nichts Schlechtes zu sein. Er schaut hinunter und fragt sich, ob er grüne Auen sehen wird. Wenn man in einer Zelle festgehalten wird und den Geist aufgibt, sollte man doch wenigstens Gras und Bäume und Vögel bekommen.
»Du bist ein Idiot«, sagt Polly Cradle.
Er starrt sie an. Sie trägt die Kleidung, die sie bei ihrer ersten Begegnung getragen hat, bis hin zum Fischnetz-Lack auf ihren Fußnägeln.
»Die haben mir deinen Brief gezeigt.«
»Papperlapapp. Die haben dir einen Brief gezeigt. Ich hab den ganz bestimmt nicht geschrieben.«
»Könnte aber sein.«
»Sie haben dich angelogen. So machen sie das. Joe, schau mich an. Schau mich jetzt an. Schau mir ins Gesicht. In die Augen.« Er tut es. »Ich werde dich nicht verlassen. Du wirst vielleicht versuchen, mich fortzuschicken. Aber ich werde nicht gehen, niemals. Ich. Werde. Nicht. Gehen.«
»Oh.«
»Jetzt weißt du’s also.«
Und obwohl er nun wieder in die Zelle zurückkehrt und jede Faser seines Körpers schmerzt, spielt es keine Rolle.
Obwohl er begonnen hat, »Ich werd’s euch verraten« zu sagen, liegen die Dinge jetzt anders.
Du lügst. Du lügst wie gedruckt. Du lügst, du lügst, du lügst. Du bist zu weit gegangen. Ich sehe dich jetzt. Ich durchschaue dich ganz und gar.
Du hättest sagen sollen, dass sie tot ist. Oder gefangen wie ich. Dass sie hier war. Du hättest irgendwas sagen sollen, nur das nicht.
Du lügst. So bist du.
Du lügst.
Etwas in ihm brennt.
Als sie kommen, um ihn fortzubringen, wird er ganz ruhig, dann denkt er an den Sargmann. Der Sargmann, der vollkommen eingeschnürt gewesen ist und es doch irgendwie geschafft hat, ihnen Wunden zuzufügen. Der den Taser und die Medikamente, die sie ihm gegeben haben, überstanden hat und immer noch so gefährlich gewesen ist, dass sie ihn in Fesseln halten mussten und ihn trotzdem nicht kontrollieren konnten. Der Sargmann wird festgehalten, aber er ist doch nicht gefangen. Und er ist ein Verbündeter.
Joe holt mit Wucht aus und bricht mit seiner rechten Hand Mr Ordinarys Nase. Er hält an ihr fest, dreht sie, spürt Knorpelmasse zwischen seinen Fingern und Blut. Mr Ordinary brüllt ihn an.
»So macht man das«, erklärt er Mr Ordinary. »Genau so ! So macht man das!«
Fünf Pfleger sind nötig, um ihn festzuhalten, damit ein sechster ihn sedieren kann.
Und während eine graue Masse von den Ecken der Welt auf ihn zukommt, erkennt er, dass sie Angst haben.
Er erwacht, und seine Schmerzen und seine Wunden sind wie
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